Humorkritik | Oktober 2006

Oktober 2006

Der Fall Greiner

Ich setze nicht voraus, daß jeder die Umstände kennt, deswegen noch einmal die wichtigsten in Kürze: Der Schriftsteller Maxim Biller hat unter dem Titel »Esra« einen Roman veröffentlicht, in dem zwei Figuren vorkommen, durch deren Darstellung sich zwei reale Personen verunglimpft fühlten. Die beiden Frauen, eine war mit Biller liiert, die andere ist deren Mutter, klagten und erreichten zunächst, daß der Roman nicht weiter verkauft werden darf. Nun gehen sie zivilrechtlich gegen den Autor vor und beanspruchen eine Art Schmerzensgeld in Höhe von 100000 Euro. Was geht das mich an?

Solange in den Feuilletons, die ich lese, einhellig, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen, die Meinung vertreten wurde, die Möglichkeit, in solchen Fällen Gerichte zu bemühen, berge unkalkulierbare Risiken für die literarische Produktion und sollte potentiellen Klägern wenn nicht unmöglich, dann wenigstens so schwierig wie möglich gemacht werden, konnte ich diese geschlossene Ablehnung stillschweigend billigen. Wenn nun aber in der Zeit, die ich nur sporadisch lese, der Literaturkritiker Ulrich Greiner den Schutz der Persönlichkeitsrechte über den der Freiheit der Fiktion zu stellen bereit ist, möchte ich folgendes zu Protokoll geben: Greiner hat schwer ein Rad ab, und mit ihm alle, die mit Literatur zu tun haben und auch nur ansatzweise seiner Meinung sind.

Greiners Argument, es handle sich in Billers Fall um einen schlechten Roman, ist eines der gefährlichsten und dümmsten, die man im Interesse der Sache vorbringen kann. Ich kenne sie, weil speziell auf meinem Gebiet der Qualitätsvorbehalt immer dann ins Spiel gebracht wird, wenn sich ein Opfer von Satire, Parodie oder Polemik getroffen und unangenehm berührt fühlt – was ja eher für die Wirksamkeit der jeweiligen Attacke spricht – und, um nicht in den Ruch zu kommen, keinen Spaß zu verstehen, behauptet, grundsätzlich nichts gegen diese Formen der Verunglimpfung zu haben: sie müßten nur besser gemacht sein. Nach dem Motto: Nur gute Satire darf alles.

Nun wirft Greiner einhundert solidarischen Autoren, die den Fall zugunsten Billers entschieden sehen möchten, vor, mit Betriebsblindheit geschlagen und von Eigeninteressen beherrscht zu sein: »Schriftsteller sollten die wachsende Wachsamkeit der Gerichte beim Schutz der Individualrechte würdigen, sie sollten darauf achten, daß nicht ausgerechnet die Literatur an ihrer Verletzung mitwirkt.« Daß mit diesen hehren Vorsätzen schätzungsweise die Hälfte der abendländischen Literatur nie geschrieben worden wäre, stört Greiner weniger. Daß unter diesen Voraussetzungen eigentlich überhaupt kein halbwegs origineller Text entstehen kann, braucht ihn nicht zu stören.

Greiner vergleicht Biller mit besseren Autoren, die juristisch nicht belangt worden sind, und kommt zu dem wirren Schluß: »Es bedarf nur einer geringen Intelligenz, die Spuren so zu verwischen, daß der angeblich Betroffene glaubhaft sagen kann: Ich bin’s nicht.« Ich bin’s – und zwar der Überzeugung, daß selbst Maxim Biller das Recht haben muß, schlechte Romane zu schreiben, meinetwegen auch aus so unschönen Motiven wie Rachsucht oder gekränkter Eitelkeit.

Eine Satire aus reiner Gutartigkeit, eine Polemik ohne jede Kränkungsabsicht zu schreiben, ist ohnehin unmöglich.

Die Konsequenzen aus Greiners Personenschutzantrag sind übrigens absehbar: Wer sich unvorteilhaft in einem belletristischen Buch oder auf einem karikierenden Bild abgebildet findet, klagt auf Verbot und Wiedergutmachung. Erst damit werden Persönlichkeitsrechte virulent, da zuvor kaum jemand die Person, die hinter einer Figur steht, hätte identifizieren können. Wer fürderhin ein solches Buch zu schreiben oder ein solches Bild zu zeichnen beabsichtigt, wird gut daran tun, Standardversicherungen, die Rechte Dritter betreffend, nicht zu unterschreiben, in jedem Fall juristische Gutachten einzuholen und Schutzschriften gegen einstweilige Verfügungen zu hinterlegen. Will wirklich jemand, der mit Kunst zu tun hat, daß deren Qualität und Statthaftigkeit von Rechtsabteilungen und Oberlandesgerichten beurteilt wird?

Ach, jeder Kritiker weiß doch, wie schwierig, ja müßig das ist, und das sollte selbst einem Ulrich Greiner allmählich einleuchten.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt