Humorkritik | November 2006

November 2006

Hähnchen, Kuh, Fisch

Angesichts der Bevölkerung Hamburgs im Jahre 1805 ist’s, daß Arthur Schopenhauer das Wesen der Welt schlechthin erkennt: Diese sei das Werk »eines Teufels, der Geschöpfe ins Dasein gerufen, um am Anblick ihrer Qual sich zu weiden«. Hundertsechsundneunzig Jahre später schildert Uli Hannemann, bewährtes Mitglied der Berliner Lese-bühnen »LSD-Liebe statt Drogen« und »Reformbühne Heim und Welt«, Hamburg so: »Auf dem Fischmarkt schreien die Verkäufer die Touristen an und bewerfen sie mit Gräten und angebissenen Fischbrötchen.« Kein Zweifel, Hannemann begreift sich als Sonderausführung des Schopenhauerschen Teufels und erfindet wüste Geschöpfe, um seinen Icherzähler von ihnen quälen zu lassen, woran dann wiederum das Publikum sich weiden darf.

Es sei denn, es ist mit Geschmacksnerven wie den meinigen ausgestattet – mir liegen Hannemanns Texte schwer im Magen, seit ich seinen zweihundertseitigen Sammelband »Hähnchen leider« (Satyr Verlag) hinuntergezwungen habe: ein 67-Texte-Menü, das mehr Unappetitlichkeit als Überraschung bietet. Was die Monotonie der Technik angeht, fühlte ich mich gar an die frühen Satiren Kishons erinnert: Stereotyp wird dort ein Mißstand zunächst maßstabsgetreu exponiert und dann zu irrsinniger Übertreibung hochgezoomt.

Hannemann schreibt am unterhaltsamsten da, wo er tatsächlich beobachtet: »Der Anblick langer, schlanker Lokomotiven, das sirrende Flüstern, mit dem sie durch die Kurven sausen, dieses eigenartige Aroma aus Blech, Staub und Strom – wer denkt, Staub sei farb- und geruchlos, hat noch nie mit einer elektrischen Eisenbahn gespielt…« – schade nur, daß der Satz hier nicht endet, sondern, als schäme sich der Autor des ungewohnten Feinsinns, weiterraunzt: »…und kennt wohl auch kaum den Vater meines Freundes Ralf, der einen landwirtschaftlichen Betrieb besaß, in dem er aus Kuhpupsen Strom gewann.« Mahlzeit.

Aus literarischen Kuhpupsen Beifallsknallgas zu gewinnen, dieses Verfahren findet sich auf Lesebühnen nicht selten angewandt. Dominierend findet sich derzeit das Genre der etüdenhaften Mikrobetrachtung, ja eigentlich des Grundschulaufsatzes à la »Was in meiner Straße besonders nervt« bzw. »Warum es mir im Urlaub doch noch gefallen hat«. In dieser Umrahmung mögen etwa zwei hannemannsche Ketchupkleckse als willkommene Akzente erscheinen – zum Sammelband geballt, werden sie aber Ekelbrei.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick