Humorkritik | Dezember 2006

Dezember 2006

Von Jean Paul lernen

Die beste Krankheit taugt nichts. Die besseren taugen, um Volkes Weisheit fortzuspinnen, immerhin dazu, während eines Krankenhausaufenthalts oder längerer Betthut Autoren zu lesen, für die man sonst einfach nicht die nötige Ausdauer aufbringt, Vigoleis Thelen zum Beispiel oder Jean Paul. Bei mir erledigte ein Bandscheibenvorfall Thelens »Insel des zweiten Gesichts«, eine Mandeloperation Jean Pauls »Titan« und ein Skiunfall kürzlich und endlich »Doktor Katzenbergers Badereise«.

Die leicht gezwungene Handlung der rokokösen Verwechslungskomödie verlangt sicher einiges Wohlwollen. Was mich aber zuverlässig in die beste Laune bringt, sind Jean Pauls Stärken: seine komischen, oft lehrreichen Metaphern, seine Kolportage zeitgenössischer Kuriosa und vor allem sein Genie, Plagen zu karikieren, unter denen die Menschheit erst zweihundert Jahre später, nämlich heute, leidet. Dem »moralischen Leerdarm«, dem »winddürren Landfräulein«, dem »Schock leicht zu zeugender Werkeltagleiber« und der »dicken Kurzstirn, in die kein Licht und kein Blitz und kein Donnerkeil zu treiben war« begegnet man im »Katzenberger« ebenso wie dem Power- resp. Nordic-Walking oder dem FAZ-Herausgeber Fr. Schirrmacher.

Letzteren nahm Jean Paul nicht nur äußerlich in der Figur des Kurarztes Strykius (»ein wangenfettes Ziermännchen«) vorweg, sondern auch, was mich beinahe numinos-tremendös ergetzte, den so ziemlich dicksten Schnitzer, den sich der Laberfachabsolvent (Philologie) Schirrmacher bislang geleistet hat. Das war um die Zeit, als das FAZ-Feuilleton der Naturwissenschaft mal eben zeigte, wo die Nanotechnologie das neuronale Genom holt, und sein Chef die Ingenieure mit dem Tagesbefehl »Noch mal: vom ›Zauberberg‹ lernen!« zu genuinen Genies beförderte. Denn Ingenieur, das habe er bei Thomas Mann gelesen, komme vom lateinischen ingenium, dem »Titel des Genies«.

Ich hatte mich seinerzeit gewundert, wo die gelahrten Leserbriefe blieben. Und ihm um die Wabbelbacken hauten, daß es sich bei diesem ingenium um das spätlateinische handele, in der Bedeutung von »Kriegs-maschine«, und daß hier von Genie allenfalls im Sinne des Geniewesens, der militärischen Befestigungskunst, die Rede sein könne. Aber es erschienen keine. Wer beschreibt daher mein Vergnügen, wenn nicht ich, als ich im 30. »Katzenberger«-Kapitel las, wie an eben diesem Strykius-Schirrmacher die komische Verwechslung beider Genie-Begriffe exerziert wurde.

Ein für allemal: von Jean Paul lernen!

 

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg