Humorkritik | Juli 2011

Juli 2011

»Nicht unbedingt jüdisch«

Der Franzose Joseph Klatzmann (1921-2008) war im trockenen Hauptberuf Agrarwissenschaftler und Demograph, aber nebenbei auch Jude und veröffentlichte daher 1998 ein Buch, das nun in der Beck’schen Reihe auf deutsch erschienen ist und den Titel »Jüdischer Witz und Humor« trägt. Dazu ist manches zu sagen.

Zum Beispiel, daß entgegen der Verlagsreklame (»Eine Fundgrube neuer jüdischer Witze«) viele Witze schon altersgrau sind, dieser etwa: »Was ist der Unterschied zwischen einem Klempner und dem Messias? Antwort: Der Messias wird eines Tages kommen.« Man könnte auch einwenden, daß einige Witze nicht in Bestform daherkommen und beispielsweise hier die Pointe lahmt: »Ein Rabbiner bittet regelmäßig Gott darum, ihn bei der Lotterie gewinnen zu lassen. Nachdem seine Bitte nie erhört wurde, beklagt er sich eines Tages bei Gott, der ihm antwortet: ›Aber du hast ja auch nie ein Los gekauft.‹«

Dabei gibt es von diesem übrigens ebenfalls schon recht betagten Witz längst eine dramaturgisch ausgefeilte, schönere Version: Jedes Wochenende betet David zu Gott: »Gib, daß ich gewinn die Lotterie!« Seit Jahren geht das schon. Am zwanzigsten Jahrestag fällt er wieder auf die Knie und fleht zum Himmel: »Gib, daß ich gewinn die Lotterie!« Plötzlich ist der Raum hell erleuchtet, und er hört eine Stimme: »David, gib mir eine Chance, kauf dir ein Los!«

Man könnte ferner bemängeln, daß die Übersetzung aus dem Französischen nicht immer auf der Höhe ist; der Vorname eines ukrainischen Juden wird kaum »Moshé«, eher »Moische« lauten, und das jüdische Schilda wird im Deutschen nicht »Helm«, sondern »Chelm« geschrieben (und ist eine real existierende Stadt im heutigen Ostpolen). Man könnte darüber hinaus bekritteln, daß der Autor zwar dankenswerterweise den jüdischen Witz nicht über einen Kamm schert, sondern nach Ländern und Epochen unterscheidet, einen Bogen von Rußland und Osteuropa über Deutschland, Frankreich und England bis zu den USA und Israel schlägt und auch den besonderen Humor der sephardischen Juden behandelt – doch viele seiner Erkenntnisse dürften nur für Leser neu sein, für die das ganze Genre namens »Jüdischer Witz« überhaupt neu ist.

Schließlich könnte man beanstanden, daß der Verfasser zwar die berechtigte Frage aufwirft, ob die jüdischen Witze wirklich immer von Juden stammen und nicht auch mitunter Material aus anderen und sogar antisemitischen Quellen eingeschmuggelt wird, und sich deshalb vornimmt, in seine Sammlung nur aufzunehmen, was »typisch jüdisch« ist – bloß um dann alle paar Seiten einzugestehen, daß der folgende Witz »wahrscheinlich nicht jüdischen Ursprungs« ist. Und die kecke Behauptung, ein Witz sei »zweifellos jüdisch«, bedeutet ja keineswegs, daß der Witz zweifellos jüdisch ist.

Und dennoch: Das Buch ist gut. So gut wie beispielsweise der folgende Witz, der von den Überraschungen berichtet, die die Einwanderer in den USA erlebten. Er »ist mit Sicherheit amerikanisch und nicht unbedingt jüdisch« und wird auch nicht bestmöglich zu Ende erzählt, aber – ach, lachen Sie selbst:

»Ein gerade eingetroffener Immigrant erblickt plötzlich einen Automaten, an dem man Sandwiches ziehen kann. Er wirft eine Münze ein, erhält ein Sandwich, wirft wieder eine Münze ein, erhält ein zweites und macht immer weiter. ›Was machst du da? Bist du wahnsinnig?‹ fragt ihn der Freund, der ihn begleitet. ›Du hast schon zwölf Sandwiches!‹ – ›Was stört dich das, ich bin doch am Gewinnen‹, antwortet der Immigrant.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt