Inhalt der Printausgabe

März 2006


Humorkritik
(Seite 2 von 9)

Islamisches Dilemma

Strenggläubige Muslime sind bekanntlich »reizbar wie ein Sack voll Katzen« (Flann O’Brien), aber einen interkontinentalen, die islamische Welt von Mauretanien bis Kaschmir erfassenden Proteststurm wird die Redaktion der dänischen Zeitung Jyllands-Posten nicht erwartet haben, als sie den Propheten Mohammed zwölf Mal karikieren ließ. Mir liegen gerade zwei dieser Karikaturen vor: Die eine, die Mohammed mit einer Bombe im Turban zeigt, deren Lunte glimmt, ist unkomische Dutzendware; das Bildmotiv ist altbacken und die Aussage unsinnig, denn als Selbstmordattentäter treten ja gerade nicht die religiösen Führer in Erscheinung, sondern die von ihnen Verführten, während die Führer sich’s bei einem Wasserpfeifchen wohlsein lassen und so bequem vorm Fernseher sitzen, daß sie sich bei jeder Meldung eines geglückten Selbstmordattentats die Hände reiben können »und noch andere Organe« (Herbert Wehner). Sehr viel besser hat mir die andere Witzzeichnung gefallen, in der Mohammed im Himmel eine Schlange verschmorter und sogar noch qualmender Selbstmordattentäter mit dem Ausruf abwehrt, daß keine Jungfrauen mehr auf Lager seien.



»Nun darf Satire bekanntlich alles, auch geschmacklos sein«, schrieb Reinhard Wolff als Kommentator der Affäre in der taz und beklagte, nachdem er darauf hingewiesen hatte, daß sich »manche Betrachter an Zeichnungen aus dem nationalsozialistischen Stürmer« erinnert gefühlt hätten, die »muslimischen Reaktionen«: »Eine unheilige Allianz undemokratischer Regime wie Iran, Libyen und Saudi-Arabien hat den Streit nämlich zum Anlaß genommen, massiven politischen und wirtschaftlichen Druck auf Dänemark auszuüben. Diese Reaktion läßt einer westlichen Öffentlichkeit nur die Wahl, im Zweifel für die Pressefreiheit einzutreten. Auch wenn dies angesichts der unappetitlichen Karikaturen schwerfällt.«



Ich weiß ja nun nicht, was sich dieser Humorkritiker unter einer appetitlichen Karikatur vorstellt, aber angesichts der objektiv unappetitlichen Nachrichten aus dem Vereinsleben derer, die es als Blasphemie betrachten, wenn sich jemand ein Bildnis ihres Propheten macht, möchte ich über die dänischen Karikaturen doch ein deutlich günstigeres Geschmacksurteil fällen. Gläubige, die Morde und Selbstmord begehen, um in ein Paradies einzurücken, das sie sich als Gratisbordell ausmalen, krebsen, wenn ich als Ungläubiger keiner optischen Täuschung erliege, ethisch so unermeßlich tief unter jedem zahlungsmoralisch gefestigten Passagier aller Thailand ansteuernden Bumsbomber herum, daß mir die Verteidigung der Pressefreiheit hier leichter fällt als Herrn Wolff. Und geradezu lächerlich kommen mir die religiösen Irren vor, die aus Wut über die Witzbilder eines dänischen Käseblättchens Botschafter abberufen, deren Häuser, Autos und Flaggen abfackeln, Milchprodukte boykottieren, EU-Vertretungen verwüsten, Veitstänze aufführen und Zeter und Mordio schreien.
Nach tausenderlei Rückzugsgefechten haben sich die christlichen Kirchen zähneknirschend zur mehr oder weniger friedlichen Koexistenz mit den Verhohnepipelern ihres Aberglaubens bereitgefunden. Bis die islamische Welt eine Ausstellung ulkiger Mohammed-Karikaturen in der Stadtbibliothek von Alexandrien achselzuckend akzeptiert, wird wohl noch viel Wasser den Nil hinunterfließen; ganz zu schweigen von Euphrat und Tigris. Selbstverständlich wäre auch die ulkigste Mohammed-Karikatur kein Menschenleben wert, das religiöse Fanatiker im Zuge der Protestkundgebungen ihrem Götzen zum Opfer brächten, und so etwas muß ja nun jeder Witzemacher befürchten, den die Raserei des islamischen Mobs erst recht zum Witzemachen reizt.
Tja. Und nun? Zurückweichen und sich entschuldigen, so wie es die Redaktion der Jyllands-Posten getan hat? Oder den frech gewordenen »Islamerern« (Eckhard Henscheid) einmal ganz deutlich zu verstehen geben, »daß es so nicht geht« (Arnold Hau)? »Versöhnen statt Spalten« (Johannes Rau) oder »Spalten statt Versöhnen« (Chlodwig Poth)? Ich tendiere ja zum Spalten, doch ich sehe auch ein, daß der Spaß am Spalten aufhört, wenn Menschenleben auf dem Spiel stehen. Aber wenn wir jetzt nicht auf unserem guten, in Jahrhunderte währenden Kämpfen erstrittenen Recht beharren, Religionsstifter vergackeiern zu dürfen, ohne einen Kopf kürzer gemacht zu werden, wird es niemals etwas werden mit der großen Wanderausstellung der besten Islam-Witze von Hans Traxler bis Greser&Lenz in Alexandrien, Bagdad, Mekka und Islamabad.
Was ich nicht sehe, ist ein Ausweg aus diesem furchtbaren Dalai Lama, nein, pardon: Dilemma.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt