Inhalt der Printausgabe
Februar 2005
Humorkritik (Seite 5 von 7) |
Amerika als Handbuch |
Ich habe keine Ahnung, ob es Michael Moore auch in der zweiten Amtszeit von George W. Bush gelingen wird, in Europa als größter Widersacher des amerikanischen Präsidenten durchzugehen, aber ich weiß, daß er in den Vereinigten Staaten schon am Ende der ersten vier Jahre diesen Status nicht mehr innehatte. Möglicherweise war den Amerikanern sein Stil dann doch zu prollig, vielleicht durchschauten sie sogar, daß bei Moores Analysen jenseits des forschen Vortrags nicht viel Neues herauskam. Dagegen hat sich Jon Stewart, der Moderator und Kopf der "Daily Show", längst als der geistreichste und gefährlichste Gegenspieler des Bush-Establishments etabliert. In den Vereinigten Staaten läuft die "Daily Show" von Montag bis Donnerstag auf Comedy Central, hierzulande kann man - wenn man einen Videorekorder programmieren oder nicht schlafen kann - am Wochenende mitten in der Nacht (Freitag- und Samstagnacht um 1.30 Uhr) im Kabel auf CNN eine globale Ausgabe ansehen. Die "Daily Show" ist eine Parodie auf klassische Politmagazine. Man sieht Experten, Korrespondenten und Kommentatoren, die ausgedachte, satirisch überspitzte Beiträge präsentieren. Wäre "Freitag Nacht News" auf RTL gut, könnte man behaupten, die Sendung erinnere in ihren besten Momenten an die "Daily Show", aber in Wahrheit überragt Jon Stewart mit seinem Team jedwede Konkurrenz um Längen. Das liegt zum einen an der Güte der Gags, vor allem aber daran, daß sich Stewart nicht nur über Politik, sondern auch über Medienvertreter amüsiert, die mit ihrer Mischung aus Phrasendrescherei und Faulheit den Selbstdarstellerzirkus erst ermöglichen. Wenn dann noch Zeit bleibt, macht die Redaktion die Hausaufgaben der "seriösen" Medien und erstellt tatsächlich investigative Beiträge. Nicht zuletzt bekommt der Sendung gut, daß Jon Stewart nicht in die beim deutschen Feuilleton so beliebte Pose des Mr. Allwissend verfällt, sondern die Kunst des Understatements zu immer neuen Höhen bzw. Tiefen führt. Angesichts dieser Leistungen kann man verzeihen, daß Stewart in Interviews - so zum Beispiel mit John Kerry (die jüngeren Leser werden sich kaum erinnern, aber der Mann galt mal ernsthaft als aussichtsreicher Bush-Kontrahent) - manchmal blaß bleibt. Als Jon Stewart 1999 übernahm, war die "Daily Show" eine harmlose Witzsendung. Stewart veränderte behutsam Profil und Team. Vor allem nachdem der frühere Onion-Redakteur Ben Karlin ins Team geholt worden war, ging es aufwärts. Die Show gewann Renommee und Preise. Heute hat Stewarts Show durchschnittlich eine Million Zuschauer pro Sendung. Laut Umfragen gilt der Moderator bei der College Crowd als glaub- und vertrauenswürdiger als jede gewöhnliche Nachrichtensendung. So viel Erfolg hat Folgen. Nun gibt es "America (The Book). A Citizen's Guide to Democracy Inaction" (Warnerbooks, bei Amazon ca. 18 Euro). Das Werk ist aufgemacht wie ein Sozialkunde-Lehrbuch, kommentiert satirisch die Zeitgeschichte und ist eines der lustigsten Bücher, die ich in der letzten Zeit gelesen habe. In neun Kapiteln wird über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Demokratie in den USA und anderswo referiert. Überschriften wie "Der Präsident: König der Demokratie", "Die Kongreßabgeordneten: Jasager der Freiheit" oder "Von totalitärer Diktatur zu post-kommunistischer Kleptokratie" zeigen, wohin die Reise geht. Man kann den Lauftext der einzelnen Kapitel als geistreiche informative Essays lesen; einfacher ist natürlich, irgendeine Stelle des Buches aufzuschlagen und nach einem Witz zu suchen. Man wird schnell fündig. Es gibt Hausaufgaben ("Gründet ein Land"), Tabellen, in denen die Gewinner der verschiedenen Revolutionen aufgelistet werden (Russische Revolution: Lenin, Stalin, Senator Joseph McCarthy. Iranische Revolution: Ayatollah Khomeini, Allah und Hollywood-Produzent Jerry Bruckheimer), und Grafiken, die beeindruckend vor Augen führen, wie sehr die Zahl sinnloser Grafiken in den letzten Jahren gestiegen ist. Da zur Demokratie freie Rede gehört, werden viele Themen zur Diskussion gestellt: "Warum ist die Verfassung so langweilig?" Oder Lehrer und Schüler im Dialog: "1. Wer hat einen Lieblingspräsidenten und warum? - 2. Einer wird mir doch einen Lieblingspräsidenten nennen können. - 3. Okay, irgendeinen Präsidenten. - 4. Auch nicht? - 5. Also bitte Leute. Wir haben gerade letzte Stunde darüber gesprochen. - 6. Niemand in dieser Klasse kann mir auch nur einen Präsidenten nennen? - 7. Oh, Scheiße. - 8. Hat vielleicht mal jemand Feuer?" Der Mix aus Satire, Nonsens und Toilettenhumor ist liebevoll gestaltet und für amerikanische Verhältnisse von geradezu verblüffender buchbinderischer Qualität. Der Titel schaffte es mühelos auf den ersten Platz der New York Times-Bestsellerliste. So schlecht kann es um die Vereinigten Staaten also nicht stehen. |
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