Inhalt der Printausgabe

Juni 2006


Titten, Toppen, Querschläger
aus der Welt der neusten Vulgarität
(Seite 1 von 4)

Ein Aus- und Rückblick von Eckhard Henscheid

»Das Land geht meiner Ansicht nach seiner völligen Auflösung entgegen.«
(Kurt Tucholsky am 7.11.1919
an Mary Gerold-Tucholsky)
Wohlgemerkt, keineswegs Bärbel Schäfer, keineswegs Nina Ruge, auch nicht Tatjana Gsell, sondern die 34 Jahre alte als Kunsthistorikerin sich ausweisende Andrea Stöger war es, welche zur Silvesterausgabe der Süddeutschen Zeitung der damit offenbar gänzlich einverstandenen Reporterin Doris Näger verriet, daß ihr bisher schon sehr optimales Leben durch die Geburt eines kleinen Buben sich noch einmal gesteigert habe: »Ich hätte nicht gedacht, daß das noch zu toppen ist, das ist eine ganz andere Liga«; auch wenn, so A. Stöger einschränkend, »wir dadurch manche Freundschaft zurückgefahren haben«.
Etwa gleichzeitig bezeichnet die entführte Archäologin Susanne Osthoff ihre Verwandten und insbesondere ihre elternlos in Deutschland lebende Tochter als mehr unerheblichen »privaten Pipifax«. Während wenig später die gefeierte Theater- und Filmschauspielerin Martina Gedeck im Focus-Interview (22.2.06) ihr »Gefühl« artikuliert, »wir haben die Arschkarte« – im Verhältnis zu den 68ern nämlich.
87 Jahre nach Tucholskys allerdings ganz anders gemeinter Motto-Briefstelle ist es nun wohl definitiv so weit. »Eine unbeschreibliche Verrohung« sah und hörte vor fünf Jahren die FAZ-Korrespondentin in allen amerikanischen Verhältnissen. Spätestens zum Fußball-WM-Jahr hat Germanien zumindest sprachligamäßig mindestens gleichgezogen. Ob die Sache realsymbolisch rascher und reeller als verhofft mit der ersten deutschen Kanzlerin korreliert oder doch mehr in der schon älteren »Krise der Maskulinität« (George Mosse) gründet: Die Frauen scheinen darin, in der neuen und neuesten Denkvulgarität und Sprachdreckgebärung, inzwischen führend, knapp aber deutlich vor dem bisher als stark und wohl nicht zu Unrecht als besonders roh geführten Geschlecht. Das erhärtet, daß z.B. auch die Vorsitzende des Nationalen Ethikrats Kristiane Weber-Hassemer es kann, wenn sie z.B. in der SZ vom 23.1.06 darangeht: »Wir wollen den Ängsten und Wünschen eine Sprache geben« und es dabei so anstellt: »Verwerfungen gab es, denn das Klonen ist ein Thema, bei dem es ans Eingemachte geht.« Insofern nämlich, weil: »Ethikräte sind gut, wenn sie fachlich gut sind.«
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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt