Inhalt der Printausgabe

Juni 2006


Humorkritik
(Seite 9 von 9)

Plaudernde Eminenz
Sie mögen einander nicht, die beiden Wiener Eminenzen am Kabarettklavier. Dem selben Jahrgang 1922 angehörend, stilisieren sie sich geradezu als Antipoden: Einerseits der vielbeschäftigte Fernsehstar Gerhard Bronner, dessen Erfolgssong »Der Papa wird’s scho richten« ich vor etlichen Jahren an dieser Stelle gelobt habe, andererseits der Eigenbrödler Georg Kreisler, dessen Hits der 60er Jahre wohl als berühmteste Musikkabarettnummern im deutschsprachigen Raum gelten können. Ein Bekannter von mir, der weder von der gegenseitigen Aversion wußte noch Lieder Bronners kannte, begegnete einmal Kreisler und fragte ihn unschuldig, was denn von jenen zu halten sei? »Vergessen Sie’s!« lautete Kreislers Antwort – was mich nicht überraschen konnte.
Überrascht war ich hingegen festzustellen, daß Bronner selbst den Kreislerschen Ratschlag befolgt und die eigenen Lieder zu weiten Teilen vergessen hat. Generös demonstriert er das im Rahmen jener Kombination aus Lesung und Liederabend, mit der Bronner zur Präsentation seiner Autobiographie durch die Lande zog und zieht und die sich aufs angenehmste von üblichen Sololesungen und -kabaretts abhebt. Entertainer durch und durch, unterbricht er den Textvortrag alle naslang, um mal eine launige Zwischenbemerkung, mal ein im soeben geschilderten Lebensabschnitt entstandenes Lied loszuwerden.
Wobei letzteres dann, unter Hinweis aufs erwähnte Gedächtnisdefizit, kaum je zu Ende gebracht wird, was den Unterhaltungswert des Abends aber nur steigert. Hauptsächlich verdankt dieser seine Kurzweiligkeit freilich dem Bronnerschen Buchtext: Flucht vor den Nazis, Nachkriegsunruhen in Israel, Anfeindungen ungebrochen deutschnational gesinnter Wiener, Qualen mit Helmut Qualtinger – die abenteuerliche Lebensgeschichte wird im angenehmsten Konversationston vorgetragen. Die von Bronner hochgeschätzten Autoren Kishon und, mehr noch, dessen Übersetzer Torberg stehen Pate. Pointen finden sich beiläufig, beinah absichtslos eingestreut; nimmt Bronner die Gelegenheit zu einem Wortspiel wahr, geschieht’s ganz ungezwungen: »Ihr Busen konnte sich sehen lassen und tat es.«
»Spiegel vorm Gesicht« hieß Bronners erfolgreiche Kabarettsendung im österreichischen Fernsehen, unter demselben Titel hat die Deutsche Verlags-Anstalt vor zwei Jahren seine Erinnerungen auf den Markt gebracht. Der luftgetrocknete Galgenhumor eines Juden der Kriegsgeneration – nun muß er sich neben schnellgezüchteten Laber-Elaboraten aus der Gagfabrik behaupten. Und tut es, mit derselben Contenance, mit der Bronners Liedstrophen sowohl Kreislerschem Gift als auch der Vergeßlichkeit ihres Autors trotzen.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg