Inhalt der Printausgabe
Juli 2006
Der Deutsche Warum mich der Matthias Mattussek gernhaben kann (Seite 3 von 4) |
In nucleo west des Matusseks neues Vaterland originellerweise in Berlin, denn Berlin, »spannendste aller Weltstädte«, ist nicht nur »arm« und »häßlich« und hat »500 000 Hartz-IV-Empfänger«, sondern ist auch jenseits solcher Romantizismen ein »Cabaret-Berlin«, wo man auf Partys von Christiane zu Salm Florian Illies trifft oder Joachim Lottmann, der ja leider nicht nur kluge Sachen sagt: »Die viel beklagte Bindungslosigkeit oder auch Beziehungsunfähigkeit ist in Wirklichkeit eine Umstrukturierung in Richtung moderne Welt. Die unterlassenen Zweierbeziehungen schaffen viele neue, andere, modernere, vielseitige, ökonomisch und geistig potentere Bindungen. Jeder junge Mensch in Berlin kann einem von den verschiedenen neuen Bindungen erzählen, die er mit seinem besten Freund, seiner Ex, seiner Geliebten aus Italien, seiner irren Mutter, der Familie seines Scheidungsvaters, seinen metrosexuellen Brat Pack-Freunden, seiner jugendlichen Kuschelfreundin, seiner erotisch unterversorgten Professorin etc. etc. hat / aufbaut / abbaut / weiterentwickelt / spannend findet. Verglichen mit dem einsamen Pärchen in Bordeaux, das still und dumm vor sich hin fristet und ›eine Familie plant, später mal, wahrscheinlich‹, ist das der Rhythmus der Zukunft.« Die ich dann hoffentlich nicht mehr erlebe; lieber rechtzeitig abkratzen / umfallen / auswandern. Was ein abermals und doppelt trauriger Schwachsinn. Vortänzerin dieses Berliner Rhythmus ist eine Ariadne von Schirach, mit der sich Matussek in einem eminent hauptstädtischen Café trifft (»An die Wände sind kleine Spatzen gemalt. Und Affen. Und ein totes Kind in einer Blutpfütze. Und eine Vergewaltigung«), um mit ihr über Deutschland zu reden: »Ariadne von Schirach, die so unglaublich lebendige, blonde, kluge Sirene. Sie hatte einen wundervollen Text über die Sexualisierung des Alltags und der Mode geschrieben, und kaum war der im Spiegel veröffentlicht, standen die Buchverlage bei ihr Schlange.« Meine Erinnerung geht da anders, nämlich mehr in Richtung eines aus Houellebecq und Cosmopolitan aufgegossenen Artikelchens, das garantiert nie in Druck gegangen wäre, hätte ihn nicht eine Blondine mit Knackhintern und illustrem Familienhintergrund (»Sie ist die Enkelin von Baldur von Schirach, dem NS-Reichsjugendführer«) eingereicht; wo nicht dem zuständigen Kollegen auf den Nachttisch gelegt. Ein kluger Schachzug, denn schon gilt die wunderliche Sirene als Intellektuelle, deren unverdrossen dezisionistische Dümmlichkeiten Deutschland als Land der hip-toleranten Denkerjugend ausweisen dürfen: »›Ich liebe die subtile Erbarmungslosigkeit dieses Ortes‹ , sagt Ariadne mit einem typischen Ariadne-Satz. Nur hier ist ein aufgeschlossenes Gespräch über Deutschland möglich … ›Nationalität ist wie Luft‹, sagt sie … Deutschland, sagt Ariadne, ist das sanfteste, toleranteste, friedlichste Land auf Erden. Neonazis kennt sie nicht. Alle ihre Freunde sind kosmopolitisch und links, sagt sie. Sie hält Neonazis für eine Erfindung … ›Wir sind das Musterland der Demokratie in der westlichen Welt.‹ Das sagt sie mit großem Stolz … Sie schreibt ein Buch über das Begehren … ›Wir sind auf der Schnittstelle zum Androidentum‹, ruft sie und ist ganz hingerissen von dieser Idee … ›Gerade wir haben uns sehr verdient gemacht im Bereich der Wurst- und Käseproduktion‹«, also, vor allem in der Käseproduktion; und Fabrikbesitzer Matussek läßt seine Praktikantin reden, was bleibt ihm übrig im Musterland der Demokratie, »das ist meine Sprache, das sind meine Leute«; und das stimmt ja denn auch. »Die Tür fliegt auf, herein kommt der Schriftsteller Moritz von Uslar«… Das sind so die Momente, in denen ich fast stolz bin, Frankfurter zu sein. |
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