Inhalt der Printausgabe

Januar 2006


Humorkritik
(Seite 6 von 7)

Alptraumhochzeit
Schätzungsweise 99 Prozent aller Ehepaare können auf Anfrage mindestens eine kleine Katastrophe erzählen, die ihnen im Zuge ihrer Hochzeit passiert ist: Wie der Bräutigam die Ringe vergessen/verloren/verspielt hat, ein unfähiger Friseur die Braut Stunden vor der Eheschließung zur Vogelscheuche gemacht hat, der Trauzeuge zu spät/betrunken/gar nicht in der Kirche erschienen ist. Solche Geschichten können sehr langweilig sein. Oder eben sehr komisch.
»The Worst Week of My Life« ist eindeutig letzteres. Die Katastrophen, die Howard Steele, Londoner Verlagsangestellter, und seine Verlobte Mel, Tochter aus bestem Hause, aushalten müssen, bevor sie endlich Mann und Frau werden, sind allerdings zahlreicher als die der meisten Ehepaare und haben dramatischere Ausmaße. Daß der Ring des Bräutigams, jahrhundertealtes Erbstück der Familie mütterlicherseits, im Waschbeckenabfluß verschwindet, Howard seinem Schwiegervater versehentlich eine Packung Kondome mit Bananengeschmack schenkt, daß außerdem eine psychisch angeschlagene Arbeitskollegin Howards herumerzählt, von ihm schwanger zu sein, wird alles beinahe bedeutungslos angesichts des Chaos, das auf dem noblen Anwesen seiner Schwiegereltern in spe Zug um Zug entsteht.
Dabei will Howard eigentlich alles richtig machen: Das Gulasch seiner zukünftigen Schwiegermutter (»Is it the green one or the brown one?« – »The brown one«) ist ungenießbar; das kann Howard aber unmöglich zugeben. Also steckt er die größten Brocken ein und versucht später, sie in der Toilette im Obergeschoß zu entsorgen. Doch das Fleisch läßt sich nicht wegspülen, Howard muß alles wieder aus der Schüssel fischen und hat gerade beide Hände voll – da steht sein Schwiegervater in der Tür. »It’s not what you think it is«, versucht Howard schwach zu retten, was zu retten ist, und wirft, bevor er sich wieder zur Familie gesellt, alles aus dem Fenster. Als er ins ebenerdige Wohnzimmer tritt, steht die Familie im Wintergarten – und rätselt, was um alles in der Welt da gerade auf das Glasdach geplumpst ist und nun langsam herunterrutscht…
»The Worst Week of My Life« lebt, wie so viele britische Sitcoms, von der lebendigen Zeichnung der Figuren: Howard (Ben Miller) tritt von einem Fettnäpfchen ins nächste, versucht aber mit entwaffnender Aufrichtigkeit und gegen die immer offenere Feindseligkeit seiner Schwiegereltern, ein guter Schwiegersohn zu sein. Mel (Sarah Alexander, »Coupling«) steht nicht zuletzt dank Howards Umtrieben selbst oft am Rande eines Nervenzusammenbruchs, hält aber unverbrüchlich zu ihrem Verlobten. Und der Klassenunterschied zwischen seinem Vater, dem Klempner mit Hang zu billigen Stripperinnen, und ihrem Vater, dem High Court-Richter, wie das ganze sorgsam arrangierte Tableau ermöglichen nicht nur klassische Wortgefechte und peinlich-komische Szenen, sondern auch Slapstick-Brutalitäten gegen alte Damen und kleine Hunde, wie man sie viel zu selten sieht.
Die formale Idee, die sieben Folgen der Serie je einen Tag der »Worst Week« beschreiben zu lassen, der je mit einem nervenaufreibenden Cliffhanger endet, sorgt für Spannung, die beinahe an die von »24« heranreicht. Gut, daß man nun alle Folgen hintereinander wegsehen kann: »The Worst Week of my Life« ist gerade auf DVD erschienen – rechtzeitig zum britischen TV-Start der zweiten Staffel, in der es, siehe »24«, eine Steigerung des Schlimmsten geben soll: in der Woche vor der Geburt des gemeinsamen Babys.
Daß übrigens der Plot der »Worst Week« dem von »Meet the Parents« so verblüffend ähnelt, ist tatsächlich Zufall: Beides entstand gleichzeitig. Und so gut »Meet the Parents« war: »The Worst Week of My Life« ist, glauben Sie’s bitte – besser.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg