Inhalt der Printausgabe

Februar 2006


Humorkritik
(Seite 5 von 8)

Musikalische Gewalttätigkeiten
Coverversionen bekannter Popstücke sind fast immer Vergewaltigungen. Sie malträtieren das Original, um es für ihre Zwecke zu mißbrauchen: sei es die Erhöhung des Vortragenden, der seinen guten Geschmack in der Auswahl seiner Songs beweisen möchte, sei es im Namen leichter Unterhaltung, wie sie Entertainer in der Lounge großer Hotels in sagenwirmal Las Vegas produzieren.
Richard Cheese, seiner Eigenwerbung zufolge »America’s loudest lounge singer«, weiß das. Und er sucht sich für seine swingenden Geschmacklosigkeiten immer wieder Opfer aus, die es verdient haben, weil sie auf ihre je eigene Weise selbst schon so gewalttätig sind: explizit, wie Gangsta-Rap-Texte nun mal sind, brachial, wie eben Rock-Knaller brettern, nervtötend, wie nur notorisches Hitparadenfutter vom Schlage »Let’s Get It Started« von den Black Eyed Peas sein können.
Da wird deren musikalische Schändung zum reinsten Vergnügen: an E-Piano, Elektroschlagzeug und Glockenspiel entsteht die Jazzminiatur »Fight For Your Right«, es folgen Uptempo-Swing-Nummern (»We are the World«), Mambos (»Sunday, Bloody Sunday« von U2, »Insane In The Brain« (von Cypress Hill) und Blues-Nummern am Barpiano (»Somebody Told Me« von den Killers). Cheese, »the hardest working Dick in show business«, nimmt sich genau die Stücke vor, die jeder seriöse Entertainer links liegenlassen würde: »Hot For Teacher« von Van Halen, »Down With The Sickness« von Disturbed (mit der Nummer hat er es in die Neuverfilmung von »Dawn of the Dead« geschafft), »Me So Horny« von der 2 Live Crew (»Sittin’ at home with my dick on hard / Girls always ask me why I fuck so much / I say what’s wrong, baby doll, with a quick nut?«), Stücke von Metallica, den Dead Kennedys, Fat Boy Slim, Britney Spears und Weezer.
Manchmal weht durch die Pausensekunden der CDs ein Hauch von Kunsthandwerk, doch den weiß Cheese zu bekämpfen, nämlich durch radikale Kürze, wie sie Parodien ja immer gut ansteht (wenige Stücke sind länger als zweieinhalb, die meisten nicht einmal zwei Minuten lang), durch musikalische Scherze, die über die Transformation in Lounge-Musik hinausgehen (»Relax… don’t do it… when… you… wanna… come on Eileen!«), und immer wieder eine überbordende Geschmacklosigkeit meist sexueller Richtung, wie sie die Originale oft schon nahelegen: Nirvanas »Rape« kündigt er mit »One for the Ladies« an, er singt »The Girl Is Mine« im Duett mit »Stephen Hawking« bzw. eben einer Computerstimme und gerät bei »Been Caught Stealing« von Jane’s Addiction in eine Schießerei, bei der der bellende Hund ins Gras beißt: »Phil Spector, shouldn’t you produce something?! I thought, they took this thing away from you!« Richard Cheese sieht im übrigen genauso aus, wie sein Künstlername es nahelegt: Leicht speckig und mit zurückweichendem Haaransatz, hat er es in den USA bereits zu einer eigenen MTV-Show gebracht und war auf Tour u.a. mit dem Brian Setzer Orchestra. Ich empfehle, zuerst die aktuelle CD zu probieren: »Aperitif For Destruction« dürfte noch vor dem Vorgängeralbum »I’d Like A Virgin« dem Cheese sein bestes sein. Konsumenten alternativer Liedkunst werden an seinem Debütalbum Gefallen finden: »Lounge Against The Machine« (2000) enthält Perlen wie »Only Happy When It Rains« von Garbage, »Suck My Kiss« von den Red Hot Chili Peppers und die phänomenale Version von »Creep«/Radiohead. Alles sehr komisch, alles sehr cheesy. Was cheesy heißt, entnehmen Sie bitte Ihrem Englisch-Wörterbuch.



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg