Inhalt der Printausgabe

Februar 2006


Humorkritik
(Seite 3 von 8)

Richard Pryor

In jeder Disziplin, auch in der komischen, tauchen immer mal wieder Menschen auf, die es einfach drauf haben, und die es tun, weil sie es können wie kein anderer. Richard Pryor war so einer. Bei ihm paarte sich ein außergewöhnliches Talent mit hartem Eifer und großem Mut.
In Deutschland kannte man ihn nur als Schauspieler in meist mittelmäßigen Komödien, wie etwa jenen, in denen er mit Gene Wilder als taub-blindes Duo durch die Gegend stolperte. Doch obwohl er in fast fünfzig Filmen spielte, war die große Leinwand nicht sein Medium. Denn allein auf einer Bühne, nur mit einem Mikrofon bewaffnet, war Richard Pryor einer der ganz Großen. Wer wissen will, wie Stand-Up-Comedy im Optimalfalle aussieht, der besorge sich, wie auch immer, das Video »Live in Concert« aus dem Jahre 1979. Wie Pryor hier geschlagene 78 Minuten über die Bühne jagt, von einer hervorragenden Nummer zur nächsten springt, ohne daß man einen Übergang bemerkt, und dabei nie Tempo und Kontrolle über das Publikum verliert, ist die reine Pracht. Er besaß alles, was ein Bühnenkomiker braucht: Timing, Präsenz, komische Stimmen, Mimik usw. und darüber hinaus die große Stärke, das akribisch geschriebene und bearbeitete Material so zu präsentieren, als sei es ihm gerade erst in den Sinn gekommen.
Für Pryor gab es kein Thema, das er nicht in etwas Komisches verwandeln konnte, denn er kannte keine Trennlinie zum Privaten, kein Ungemach, das nicht in seine Shows eingebunden worden wäre. Aufgewachsen im Bordell seiner Großmutter, wurde er siebenjährig von einem Nachbarn mißbraucht, der ihn später nach einem Auftritt um ein Autogramm bat. Es gab kaum eine Droge, die er nicht genommen hätte, was zu mehreren Gefängnisaufenthalten, einem Herzinfarkt schon in seinen Dreißigern und einem Selbstmordversuch führte, bei dem er sich selbst in Brand steckte. Er war mit fünf Frauen siebenmal verheiratet und zeugte geschätzte sieben Kinder. Und über allem, leitmotivisch, der Rassismus, der sich durch seine ganze Karriere zog und mit dem er auf die gleiche offen-provokative Art umging. So pflegte er zu Beginn seiner Auftritte, wenn Teile der Zuschauer noch auf der Suche nach ihren Plätzen waren, zu verkünden: »I love it when white people come and find out that niggers stole their seats«, um darauf mit seiner »white man’s voice« das Entsetzen der Weißen über den vermeintlichen Sitzverlust nachzuspielen. Pryor war neben Bill Cosby, zu dem er eine Art Gegenpart darstellte, der große Türöffner für schwarze Komiker in den USA. Ohne ihn hätte es Eddie Murphy, Chris Rock und Dave Chapelle nie gegeben.

Richard Pryor starb Anfang Dezember  2005 65jährig nach zwanzig Jahren Multipler Sklerose (deren Auswirkungen er in seinen letzten Auftritten Anfang der 90er auch noch belacht hatte) an seinem zweiten Herzinfarkt. Und in den wenigen Nachrufen, die Deutschlands Presse zeitigte, wurden seine drei Grammys, die er für Mitschnitte seiner Stand-Ups erhielt, als Preise für seine »Musik-Alben« bezeichnet; oder gleich der ganze Mann als unpolitischer Zappelphilipp portraitiert. Und das war er nun zuallerletzt.





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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg