Als dezidiert komischer Autor ist der 1975 bei einem Verkehrsunfall zu Tode gekommene Dichter Rolf Dieter Brinkmann weder zu seinen Lebzeiten in Erscheinung getreten noch bis heute wahrgenommen worden. In seinem Hauptwerk, dem nachgelassenen und jetzt in einer erweiterten Neuausgabe im Rowohlt Verlag erschienenen Gedichtband »Westwärts 1&2«, herrschen melancholische bis verzweiflungsvolle Molltonarten vor, und wer intensiv in Trauer, Weltekel und Menschenhaß schwelgen möchte, wird auch in den posthum veröffentlichten Nebenwerken auf seine Kosten kommen, wenn Brinkmann mit seiner Generation abrechnet, mit Köln und Rom und Vechta, mit seiner Familie, mit einer häßlichen Texaco-Tankstelle, mit dem gesamten christlichen Abendland und manchmal auch mit sich selbst, nachdem er wieder einmal in sein mit dreckigem Geschirr gefülltes Spülbecken uriniert hatte.
In den frühen Siebzigern krebste der mit fast aller Welt und nicht zuletzt dem westdeutschen Literaturbetrieb auf Kriegsfuß stehende Brinkmann in Köln recht armselig dahin. Vermutlich wären seine phantastischen literarischen Haßausbrüche glimpflicher verlaufen, wenn er ein bißchen mehr Geld auf der hohen Kante gehabt hätte. (Marcel Reich-Ranicki hat die Öffentlichkeit vor kurzem darüber informiert, daß er persönlich Brinkmann »entdeckt« habe. Nanana. Sind die Entdecker nicht vielmehr Renate Matthaei, Dieter Wellershoff und Jörg Schröder gewesen? Und was hat MRR, dieser schon damals unermeßlich einflußreiche Strippenzieher und Preiseverteiler, für olle RDB getan, als der in Köln als Nullnummer von Dosennudeln und der Hand in den Mund lebte? Raten Sie mal.)
Eines schönen Tages im Jahre 1973 aber wurde Brinkmann vom WDR aufgefordert, ein Tonband in seinen Alltag als Autor mitzunehmen. Unter dem affigen Titel »Wörter Sex Schnitt« sind Brinkmanns bizarre Tonkonserven jetzt von Intermedium Records im 5-CD-Schuber ediert worden. Die Aufnahmen sind bisweilen nervtötend, aber oft auch überraschend und berauschend komisch, vor allem dann, wenn Brinkmann beim hektischen Her-umlaufen wie Rumpelstilzchen allen Haß auf seinen fiesen Wohnort Köln hinausramentert, auf der Straße, wo er den Lärm von Schwerlastern überschreien muß: »Ein gelb-schmutziger Himmel, der überhaupt nicht aufhört … ein gelb-schmutziger Himmel, der überhaupt nicht aufhört in diesem Augenblick … ein gelb-schmutziger Himmel … ein gelber, schmutziger Himmel … ein gelber, schmutziger Himmel … ein gelber, schmutziger Himmel … ein mieser, gelber, dreckiger, schmutziger Kölner Himmel … ein mieser Himmel … ein verdammter Scheißdreck von Himmel … ein mieser, gelber, schmutziger Kölner verfluchter, elender Kackhimmel … ein von Lichtfetzen zerkackter Himmel … ein mieses Stück von Himmel … ein Kackhimmel … ein riesiger Scheißdreck von Himmel jetzt in diesem Augenblick, an dieser Bahnstelle, entlang der Bahn … zwischen diesen toten Bäumen … vor der Stadt … ringsum Häuser … Kästen … ein elendes Miststück von Himmel … ein mistig gefärbter Scheißdreck … ein Scheißdreck … ein Scheißdreck … überall ein Scheißdreck … ein elender Mistdreckhimmel …«
Da ist Rolf Dieter Brinkmann in seinem Element und so komisch wie nur je eine krachmeiernde Figur aus dem Repertoire von Gerhard Polt. Ich habe mir diese Passage schon öfter angehört und lache mich jedesmal wieder schief dabei. Das wäre nicht in Brinkmanns Sinn, fürchte ich, aber so ist es nun mal. Mein Angelschein ist auch an den Ufern von Gewässern gültig, in denen das Groteske in das Grausige verschwimmt.
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