Inhalt der Printausgabe

Oktober 2005


F.K. Waechter lebt!
(Seite 2 von 4)

Lasset den Lobgesang hören
Robert Gernhardt war der erste. Im Frankfurter Club Voltaire hielt er 1965 die Eröffnungsrede der ersten Waechter-Ausstellung.
Er sprach vom Grafiker, »der an einem Scheideweg steht: Soll er diesen Witz« – den Cartoon mit rein grafischen Mitteln; Ahnherr Paul Klee, bedeutendster Protagonist Saul Steinberg – »weiterentwickeln? Oder soll er dem beherrschenden Trend der Cartoonisten unserer Zeit folgen? Soll er ein Männchen entwickeln? … Die erste Entscheidung hätte ihn in dubiose Gefilde der Hochkunst entführt … die zweite hätte seinen Marktwert beträchtlich steigern können … Waechter ging keinen der beiden Wege …«
24 Jahre später – Waechters Marktwert war beträchtlich gestiegen, Waechter stellte im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover aus. Gernhardt feiert die »grafische und artistische Opulenz«. Und zitiert die Frankfurter Kunstkritikerin Christa Spatz, die anläßlich einer Waechter-Ausstellung in Gelnhausen in den 70er Jahren schrieb: »Wir freuen uns auf weitere neue Geschöpfe aus Waechters nimmermüdem und stets zärtlichem Pinsel.«
Hans Traxler über Waechters Zeichenkunst im Nachwort zu dem dicken Diogenes-Band »Waechter« von 2002: Er schreibt vom »coup de grace«, vom »Moment der Gnade«, von »diesem somnambulen Glücksmoment des Zeichnens, wo einer so gut drauf ist, daß ihm aber auch alles gelingt … Es läßt sich nicht übersehen, daß der besagte gebenedeite Zustand bei Waechter auffallend häufig auftritt. Die Folgen sind: eine makellose Eleganz im Linienfluß, schlafwandlerische Sicherheit in der Anwendung von einem Dutzend grafischer Techniken … eine apollinische Heiterkeit, Pointen von gewagtester Drastik bis hin zum verschwebenden dreifachen Pianissimo und ein über allem waltender Kunstverstand.« Gabriele Killert in ihrem Nachruf im Berliner Tagesspiegel zitiert den Knecht in Waechters Stück vom Teufel mit den drei goldenen Haaren: »Ich bin in einer Glückshaut geboren…« Sie schreibt Waechter ebensolche Glückshaut zu als dem federführenden Großmeister der »Neuen Frankfurter Schule«, die im »deutschen Humorverständnis eine kleine kopernikanische Wende herbeiführte … Bis dahin war die Komik ja eine Scheibe; ziemlich flach und begrenzt. Mit Waechter … ging’s dann rund«. Zeichnen ist Glückssache. Zum Glück haben wir Waechters Kunst.

Casablanca
Stellen wir uns vor, nicht die Musik
hätte den Wettstreit der Künste gewonnen, sondern die Zeichnerei und Malerei wären noch die Nr. 1. Und dann diese Szene: Ingrid Bergman betritt Ricks Café in »Casablanca«. Sie sagt nicht »Play it again, Sam« (was sie in echt und im Film auch nie sagt), sondern sie sagt: »Draw it again, Fritz«, und unser Caféhauszeichner geht an seine Staffelei, und möglicherweise hätte der Film eine ganz andere Richtung genommen – as time goes by…

Was hat uns Waechter heute noch zu sagen?
»Kasperle, Kasperle, was machst du mit mir?« Waechter hat immer viel zur Humanisierung des Liebeslebens beigetragen; bitteschön: »Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, dem Beischlaf wird in unserer Gesellschaft eine viel zu große Bedeutung beigemessen. Er sollte so selbstverständlich sein wie unser tägliches Morgengebet.«
Und so geht eine Liebeserklärung:
Er liegt ihr zur Füßen. »Ich liebe Sie!«
Sie: »Sie? Mich? Mit allen Fasern Ihres Herzens?«
Er: »Jawoll!«

Den noch: »Er sieht zwar nicht gut aus, aber er küßt wie eine gesengte Sau.«




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt