Inhalt der Printausgabe

November 2005


Humorkritik
(Seite 5 von 7)

Extras
In seiner weltberühmt gewordenen britischen Sitcom »The Office« spielt Erfinder und Hauptdarsteller Ricky Gervais den Bürovorsteher David Brent, der vor allem eines schätzt: sich selbst. An diesem Prinzip hält Gervais auch in seiner nun angelaufenen zweiten Serie fest: Sie heißt »Extras«, auf deutsch: »Komparsen«, und handelt von dem Komparsen Andy Millman, gespielt von Gervais, der sich aufgrund einer ausgeprägten Hybris für einen echten Schauspieler hält.
Millman, Statist mit Ambitionen und einem untalentierten Agenten, treibt sich in jeder »Extras«-Folge auf einem jeweils anderen Filmset herum und trifft dabei auf einen je neuen (und echten) Star: Auf Ben Stiller etwa, der in der ersten Folge den Regisseur eines Kosovo-Kriegsfilms spielt, auf Kate Winslet als Nonne im Zweiten Weltkrieg oder auf Patric Stewart in einer vermutlich Shakespeare-Verfilmung. Dabei schafft es Gervais zuverlässig, extrem peinliche Situationen zu generieren bzw. ihr Opfer zu werden – ganz wie in »The Office«. Um seine Chancen bei einer religiösen Frau zu erhöhen, improvisiert der atheistische Andy einen Katholiken, hat aber nicht die geringste Ahnung von deren Sitten und Gebräuchen und redet sich also mal wieder um Kopf und Kragen: »Catholics, yeah, I’m definitely one of us… Catholic, the c word, right? – Not the c word [i.e. cunt; Fotze], a c word.«
Zur Seite steht ihm dabei regelmäßig seine Kollegin Maggie Jacobs (Ashley Jensen), die Millman in nichts nachsteht: Sie spricht Samuel L. Jackson ein Kompliment für seinen Auftritt in »The Matrix« aus, aber das war natürlich gar nicht er, sondern in Wahrheit Laurence Fishburn. Einsatz Andy: »Es ist aber nicht so, daß sie denkt, ihr seht alle gleich aus – falls Sie das jetzt gerade gedacht haben.« Seine Freundin sei nämlich keine Rassistin, was man schon daran sehen könne, daß sie mit einem Schwarzen zu schlafen versucht habe. Der stehe direkt neben ihm, Jackson. »›Pulp Fiction‹!« ruft Andy schließlich dem wortlos weggehenden Jackson nach.
Drei Jahre sind seit dem Überraschungserfolg von »The Office« vergangen, der Gervais zum Star gemacht hat. Seine erste Sitcom, welche die BBC überhaupt nur in Auftrag gegeben hat, weil sie außerordentlich kostengünstig zu drehen war, hat die Latte hoch gelegt; und Gervais war gut beraten, alle nachfolgenden TV-Angebote auszuschlagen, die ihn als Figur für den Bildschirm verbraucht hätten: Er hat sich auf die Produktion einer amerikanischen »The Office«-Adaption, Live-Auftritte und Kinderbücher über merkwürdige Monster (»Flanimals«) beschränkt. Der Erfolg in den USA ermöglicht ihm nun ein Staraufgebot, das Gervais klug einsetzt: nämlich in weiten Teilen als Stichwortgeber und mit eher ernsten Parts, die Gervais und Jensen als Reibungsfläche dienen. Als glänzend komische Auftritte bleiben die von Ben Stiller und, erstaunlicherweise, Kate Winslet in Erinnerung; ersterer demütigt als Kriegsfilmregisseur vorbildlich den Autor des Drehbuchs, dessen Frau im Kosovokrieg ermordet wurde, und blafft ihn schließlich vor versammelter Mannschaft an: Ob das denn sein, des Autors, Film sei oder seiner, Stillers – und er, der Autor, solle endlich aufhören, dauernd wegen seiner beschissenen toten Frau rumzuheulen!
Daß »Extras« hinter dem Maßstäbe setzenden »The Office« zurückbleiben muß, beschädigt die Serie dabei nur wenig: Gervais’ Prinzip der Pointenvermeidung ist nicht mehr neu, ebensowenig die Gebrochenheit der Figuren, deren Bemühen um Antirassismus, weibliche Emanzipation, Toleranz gegenüber Behinderten und Schwulen sie stets in die größten Verlegenheiten bringt. Man kennt das Prinzip. Doch es kommt bekanntlich weniger darauf an, daß ein Witz neu ist, als daß er gut erzählt wird. Sieht man von der Schematisierung einmal ab, die sich hin und wieder bemerkbar macht, ist »Extras« eine solide Sitcom, die zu Recht fortgesetzt werden wird. Die erste Staffel ist im Sommer in Großbritannien gelaufen, erscheint am 31. Oktober auf DVD und kann dann per Import auch hier bezogen werden.


 
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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg