Inhalt der Printausgabe

November 2005


Eijne gute Gurke

(Seite 5 von 5)

»Liberal und aufgeklärt!« Heijnrik hat Ohren wie ein holländischer Polderluchs und kramt nun in seiner Brieftasche nach dem Einkaufswagenchip. Mein Schwiegervater ist ein großer Verfechter von Aufklärung und Liberalismus. Für den größten niederländischen Aufklärer hält er Søren Kierkegaard, den Heijnrik zufolge eine lebenslange Freundschaft mit Gustav Stresemann verband. »Dasch waren die beste Freunde, wo man sisch denke kann, obwohl Stresemann natürlisch eine rechtschliberaler Natschionalischt gewejschen ischt.« Die Freundschaft zwischen Kierkegaard und Stresemann ist Heijnrik zufolge auch die Grundlage der weitgehend friedlichen Koexistenz von Niederländern und Deutschen. Meinen Einwand, Kierkegaard sei bekanntlich Däne gewesen, läßt er nicht gelten, er braucht Søren schließlich viel zu dringend, wenn eine unorthodoxe Lösung für ein Problem benötigt wird. Wie jetzt, wo sich herausstellt, daß Heijnrik seinen Einkaufswagenchip zu Hause vergessen hat. »Die Mensch hat sisch noch nicht als ejne Selbscht erkannt, die nicht nur immanent, sondern auch transzendent exischtiert, indem sisch die Mensch zu die faktische Verhältnis zwische Körperen und Geist bewußt in ein Verhältnis setzt.« Treuherzig schaut Heijnrik mir in die Augen, holt einen Bolzenschneider aus dem Wohnwagen und zwickt damit einen Einkaufswagen von der Schlange. »Siehsch du, das nenne ich liberal!« Triumphierend schiebt er ab.

Nachdem wir durch die Tulpenzwiebelabteilung, das Windmühlenzubehör und die Fahrrad-Tuning-Sonderausstellung endlich bei den Lebensmitteln angekommen sind, werde ich schließlich noch Zeuge einer kleinen Auseinandersetzung. Heijnrik beginnt nämlich, jedes Stück Käse aus dem Kühlregal nicht nur zu beschnuppern und einer Konsistenzprüfung mittels Daumen und Zeigefinger zu unterziehen, sondern die meisten auch noch auszupacken und zu probieren. Indem er einfach ein Stück von ihnen abbeißt. »Papa! Laß das!« Meine Frau hat eine Engelsgeduld, aber was zuviel ist, ist zuviel. »Wasch denn?« schmatzt mein Schwiegervater mit vollem Mund, »das ist eijne alte holländische Brauch!« Er legt ein angebissenes Stück Leerdammer zurück ins Regal und greift zu einem Camembert. »Ach ja?« faucht meine Frau, »steht das auch bei Kierkegaard?« Heijnrik läßt den Camembert sinken. Sein Gesicht legt sich in Falten. Nun ist er ernsthaft verletzt. Mit Kritik kann er leben, doch wenn seine Glaubwürdigkeit angegriffen wird, versteht er keinen Spaß. »Du glaubsch mir nijt? Mijn eijgene Tochter!« Heijnrik ist so tief getroffen, daß er wortlos eine Flasche Rotwein aus dem Regal gegenüber der Käsetheke nimmt und mit einem Zug leerverkostet. Während sich der Supermarktleiter, wie ich aus dem Augenwinkel wahrnehme, mit zwei Angestellten im Schlepptau bedrohlich nähert, spähe ich unauffällig eine Fluchtmöglichkeit aus. Doch vor der einzigen Feuertür steht ein zu Präsentationszwecken aufgebautes Vierpersonenzelt, und so suche ich hinter einem Stapel »Alde Amsterdamer Stinkekäsje« Deckung, während der vierschrötige Marktleiter sich die Ärmel hochkrempelt. Mir stockt der Atem. Meine Augen beginnen zu tränen, als Heijnrik mit einem Bauset »Holzclogs zum Selberschnitzen«

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt