Inhalt der Printausgabe

Dezember 2005


Unternehmen TITANIC
An der Scherzgrenze
(Seite 3 von 4)


Betriebsrat Mark-Stefan Tietze fürchtet, daß die angekündigten Sparmaßnahmen erst der Anfang sind: »Jeder ökonomisch denkende Mensch wird schnell erkennen, daß in diesem Laden unerhörtes Sparpotential steckt, Betriebsrat hin oder her. Was Rürup zum Beispiel allein an Porto klaut, um nichtgelesene Rezensionsexemplare bei Amazon zu verscheuern! Außerdem ist die Kaffeemaschine den ganzen Tag an, anstatt daß mal jemand den Kaffee in die Thermoskanne füllt.«
Vor einem Wort fürchtet sich die Redaktion dabei am meisten: Frühaufstehen. Aber auch das angekündigte Outsourcing bereitet der Belegschaft schlaflose Nächte. Zeitunglesen, Artikelangebote prüfen, Tietzes Texte schreiben – alles Dinge, die sich auch von Schülerpraktikanten erledigen lassen. Die Redakteure sollen sich ab sofort aufs Kerngeschäft konzentrieren: Lifestyle-Satire für Leute, die nicht so gerne lesen. »Wir wollen aktive Lebenshilfe bieten: die ironischsten Sportwagen, die zynischsten Urlaubsziele, die menschenverachtendsten Restaurants. Der Leser will wissen: Wo bleibt mir das Lachssoufflé im Halse stecken?« Altmeister Eckhard Henscheid hat bereits den Auftrag, über die Herstellung von leckerem Champagner und die hohen Qualitätsmaßstäbe bei Moët&Chandon zu berichten – streng neutral, versteht sich. Denn journalistische Qualität soll unter Gsella oberste Priorität haben.
Doch die Redakteure bleiben skeptisch. »Früher Straßenmusikant, heute den dicken Max machen«, sagt Spottredakteur Stefan Gärtner, der nicht genannt werden will. »Die meisten Texte von Gsella sind doch völlig frei erfunden! Erinnern Sie sich noch an den, wo angeblich der Dalai Lama in der Redaktion war? Ich sage Ihnen was: gelogen!« Und ein Kollege, der nicht wörtlich zitiert werden will, ergänzt: »Er vernachlässigt einfachste journalistische Grundsätze. Erfolgszeilen wie ›Eine Hose ist eine Hose ist eine Hose‹ oder ›Du mußt dein Leben ändern‹, die sind gar nicht von ihm! Ohne daß er die Quellen je kenntlich gemacht hätte.«
Doch Gsella hat auch Erfolge vorzuweisen: Die Aschaffenburger Privatbrauerei Schlappe-seppel hat er praktisch im Alleingang saniert, ebenso einen Tabakwarenhändler an der Bockenheimer Warte; von seinem HNO-Arzt zu schweigen. Gsella gilt in der Branche als durchsetzungsfähig, kommunikativ und unrasiert – Eigenschaften, mit denen er auch im scherzkonservativen Frankfurter Satire-milieu punkten will. Bis Anfang 2007 will er die Umsatzrendite auf 0,2 Prozent verdoppeln, danach das Blatt an die Börse bringen. Aber dazu muß er erst mal weg vom Gemischtwarenladen, hin zum fokussierten Global Player: »Oneliner, Polemik, Stil- und Anzeigenparodie, Humorkritik, Fotoroman, Bildwitze – das Blatt hat sich in den letzten Jahren einfach zu stark diversifiziert. Was ich will, ist Satire aus einem Guß in den Kernbereichen Scherzgedicht und Impressum.« Definitiv abgeschafft werden die Rubriken »Hausmitteilung«, »Mit Pit Knorr durchs Jahr« und »Kochen mit Salz«, verjüngt wird die angestaubte Humorkritik: Hier wird der kaum noch zeitgemäße Hans Mentz durch den vifen Oliver Pocher ersetzt, mit dem Gsella die kaufkräftigen Leser zwischen zwölf und dreizehn erreichen will.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt