Inhalt der Printausgabe

Dezember 2005


Platzeck kommt
Stoiber geht


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Er nimmt jetzt das Flugzeug, wenn ihn die Partei nach Berlin ruft. Das ist aber auch der einzige Luxus, den sich Matthias Platzeck (51) leistet. »Ein Kompromiß«, erklärt Platzeck und lehnt sich zurück in den bequemen Business-Class-Sessel der VIP-Lounge auf dem Flugplatz Potsdam, »der Flug dauert dreimal so lang wie die Fahrt mit dem Auto, aber er sichert die Arbeitsplätze von zwei Piloten, drei Stewardessen, fünzehn Flugsicherern und zwölf Sicherheitsleuten – und zwar in Brandenburg.« Es hat nichts von einem Geständnis, wenn Platzeck von Kompromissen spricht. Seine Karriere ist auf Kompromisse gebaut und von Beginn an typisch DDR: erste Klasse, zweite Klasse, dritte Klasse, dritte Klasse, vierte Klasse, dritte Klasse, Oberschule, Abitur.
Während seines Studiums in den wilden Achtzigern wird Platzeck zum Pragmatiker. Ein Vollbart ist zu dieser Zeit unerläßliches Zeichen der Opposition gegen Elternautorität und Bartlosigkeit, doch sein Vater ist dagegen. »Also habe ich mir das hier wachsen lassen«, Platzeck streicht sich durch den Kompromiß an seinem Kinn, »naja, ich bin eher für lösungsorientierte Sacharbeit bekannt als für modische Finessen.« Auch seine Kleidungswahl deutet auf ein ausgleichendes Wesen hin: Zur steif-korrekten Anzughose trägt er ein legeres Jeanshemd und Turnschuhe, die grotesk bunte Krawatte hat er gelockert und in die Hosentasche gesteckt. Typisch Naturwissenschaftler eben.
»Biomechanische Kybernautik, das war damals der letzte Schrei«, erklärt Platzeck, als wir Richtung Hauptstadt abheben. »Wer hätte geahnt, daß es ein Irrweg sein könnte, Öltanker und Wale miteinander zu kreuzen! Die Viecher konnten zwar ungeheure Mengen Öl transportieren, aber Seekarten lesen? Vergessen Sie’s!« Dennoch schließt er sein Studium ab. Als ein Prototyp des Ölwals Backbord und Backstein verwechselt, auf der Elbe havariert und die Luft Magdeburgs auf Monate verpestet, erwacht Platzecks Interesse für den Umweltschutz. 1979 wird er Mitarbeiter am Institut für Lufthygiene in Karl-Marx-Stadt. »Zu tun war da natürlich nicht viel«, gibt Platzeck zu, »Luft hat man damals in Karl-Marx-Stadt nur ganz schwer bekommen, Hygiene war sowieso ein Fremdwort. Meistens haben wir Puhdys gehört: Puh, dis ist wieder ein Gestank da draußen…«
Sein Engagement für grüne Ideen wird immer stärker, 1988 gründet er mit Gleichgesinnten die Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung ARGUS. Ihr erstes Projekt, Partikelfilter für Tretroller zur Pflicht zu machen, scheitert in der Volkskammer. »Aber wir haben nicht aufgegeben«, Platzeck nimmt einen Schluck von seinem Kompromiß aus Kamillentee und Latte Macchiato, »auch nicht, als die Stasi ihre Unterlagen über unsere Bürgerinitiative schon im Januar 1989 vernichtet hat, als die Wende noch gar nicht abzusehen war. Angeblich weil sie im Archiv dringend Platz brauchten für den Frühjahrskatalog von Manufactum.«


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg