Inhalt der Printausgabe

Dezember 2005


Humorkritik
(Seite 8 von 8)

Ewiger Monaco Franze

Zugegebenermaßen spät bin ich auf die DVD-Box mit dem kompletten »Monaco Franze« gestoßen (EuroVideo), die schon etwas länger auf dem Markt ist. Aber die späten Lieben sind ja manchmal die schönsten, und auch wenn ich dem Regisseur und Erfinder H. Dietl nicht unbedingt in Zuneigung zugetan bin – da müßte mir schon wer ein halbes Königreich versprechen, daß ich noch einmal »Rossini« gucken tät’ –, so muß ich doch vor ihm und seinem Co-Autor Patrick Süskind, vor allem aber vor dem sagenhaften Helmut Fischer noch einmal tief den Humorkritikerhut ziehen: Denn »Monaco Franze« war und ist eine fabelhafte Serie.
Die Geschichte vom Kleine-Leute-Kind und »ewigen Stenz« Franz Münchinger, der in die höhere Gesellschaft eingeheiratet hat und sich deren Gespreiztheiten gerne in Richtung Kiez und Frauenallotria entzieht, ist so reizend beiläufig und stilsicher erzählt, daß einem die Satire der späteren Dietl-Produktion »Kir Royal« schon fast grob vorkommt. »Monaco Franze« nämlich ist vor allem eine Liebesgeschichte: Der Münchinger Franz liebt sein »Spatzl« (R. M. Kubitschek), er liebt aber auch die Frauen insgesamt, und er liebt sein München; und der Film erzählt, wie immer schwerer es ihm, dem alternden Herzensbrecher und Flaneur, fällt, das alles beieinander zu halten; und wie es ihm langsam entgleitet als einem, dem die Zeit davonläuft.
Und das ist nicht nur seine persönliche Zeit. So schön wie im München der frühen Achtziger war das Jahrzehnt nie wieder. Das Wort »Yuppie« führt noch niemand im Mund, und der Franze, der liebt und lebt und leben läßt, der das Gerede der anderen mehr erträgt als mitmacht und im Zweifelsfall den Mund hält, ist in seiner melancholischen Eleganz wie ein Restposten der sozialliberalen Ära, als das Sinnbild Deutschlands nicht mehr (und noch nicht wieder) das Brandenburger Tor, sondern das Münchner Olympiastadion war. Was man damals noch ohne gehässigen Nebenton »soziale Symmetrie« nennen konnte, verkörpert dieser Gentleman aus kleinsten Verhältnissen, der mit denen da oben lebt und die da unten liebt und nicht eine Halbsekunde lang das Parvenu- und Angeberhafte der Zeit haben wird, die auf ihn folgt, und sich wie selbstverständlich zwischen Edelitaliener und Frühlokal bewegt, weil alles seins ist. Und am Ende der zehn Folgen verliert er dann wie bestellt seine komfortable Beamtenfrühpension durch ein Termingeschäft an der Börse und landet in der Gosse, und von beiden wird im folgenden ja noch mehr zu hören sein, als einem lieb sein kann.
Altertümlich ist, von heute aus betrachtet, natürlich auch das Format: Erzählt wird nicht in heutigem Comedy-Duktus, sondern geruhsam filmisch, mit derselben Engelsgeduld, die dem Helmut Fischer stets im Dackelblick hängt und der die schnelle Pointe viel weniger wichtig ist als das komischtragikomische Tableau insgesamt.
Natürlich kann ich die Zeit genausowenig anhalten wie der Münchinger Franz, aber: Wo ist sie hin, die Zeit, als in Deutschland noch Formate solchen Zuschnitts entwickelt wurden bzw. sich entwickeln durften, von den auch schon Dietlschen »Münchner Geschichten« über den »Ganz normalen Wahnsinn« bis eben zum »Monaco Franze«? Als lustiges Fernsehen, jedenfalls manchmal, noch mehr war als schick tapezierte Entspannungshilfe für gestreßte Dauertwens (s.o.) und obendrein, igitt, noch Realität und Leben abbildete?
Was für eine Ausnahme »Monaco Franze« aber schon damals war, zeigt die weitere Karriere des 1997 gestorbenen Helmut Fischer, die nach Kinopeinlichkeiten wie den »Zärtlichen Chaoten« im »Schloß am Wörthersee« endete. Was, nebenbei, eine der irrsten und traurigsten Talentvergeudungen ist, die ich kenne.



    1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt