Inhalt der Printausgabe

Dezember 2005


Humorkritik
(Seite 6 von 8)

Lebloses Liebesleben

Begrüßenswert, einerseits, daß sich das Großfeuilleton seit ein paar Jahren mit beinahe Leidenschaft auch der Humorproduktion im nationalen wie internationalen Fernseh widmet; hier hat ganz offenbar ein Generationswechsel stattgefunden, zumal in der FAZ/FAS. Um so betrüblicher, andererseits, wenn Fachkräfte wie der umsichtige Medienbeobachter S. Niggemeier (ebd.) neuerdings gewohnheitsmäßig und schon arg danebenliegen: nicht nur bei der Beurteilung von »Pastewka« (cf. TITANIC 10/2005), sondern auch in der Rezension der neuen Sat.1-Comedyserie »LiebesLeben«, in der es um Thirtysomethings und ihre ewigen Emotionalnöte geht.
»Diese Serie hat eine Seele«, so Niggemeiers Fazit, das er sogar zum Titel seines Artikels machte. Denn »auch wenn die Serie meist den kürzesten Weg zur nächsten trockenen Pointe ansteuert, geht sie doch auf eine ungewohnt zärtliche Art mit ihren Protagonisten um und gibt ihnen Tiefe und Aufrichtigkeit«. Weiters sei sie »eine der innovativsten Comedyserien seit langem«, nämlich »durch die Art, wie sie erzählt ist. Die Protagonisten sprechen mit dem Zuschauer aus dem Off und in die Kamera, in Einschüben wird Vergangenes, Erhofftes und Befürchtetes visualisiert, und wenn eine fast vergessene Nebenfigur am Ende einer Folge plötzlich wieder auftaucht, kann es sein, daß sie sagt, sie sei der Mann ›vom Anfang der Folge‹. Die Macher hatten offenkundig Spaß … daran, mit der Erwartung des Publikums zu spielen.«
Schön, daß wenigstens die Macher ihren Spaß hatten; denn was Niggemeier da blindlings »Innovation« nennt, ist nichts weiter als ein billiger Trick, um sich um eine wirklich erzählte Geschichte herumzumogeln. Eine solche gäbe z.B. die Spezifika und Marotten ihrer Charaktere erst peu à peu preis und würde sie in Handlungsfäden wirken, die dann mit Geschick und Geduld zu verzwirbeln und verknoten wären; so gerät alles nur zum Sketch, und zwar zu einem mit Ansage. Wie ich mich überhaupt niemals mit jemandem anfreunden wollen würde, der mir sofort und ungefragt und v.a. ständig über das, was ihm gerade durch die Rübe rauscht, Mitteilung macht. In »LiebesLeben« tun das aber sämtliche Protagonisten; und gehen mir damit nach Kräften auf die Nerven. Ganz abgesehen davon, daß dieser vulgärbrechtsche, identifikationstötende Dreh dann auch noch für billige Witzchen der Art gebraucht wird, daß einer was zu wem sagt und die Aussage durch ein Zwinkern in die Kamera entwertet – wenn das Innovation ist, sei Mentz der Kaiser von Turkmenistan.
Zu dieser Oberflächlichkeit paßt, daß die Charaktere, die der Kritiker »zärtlich« dargestellt sieht, allesamt aus der Klischeekiste des Industriefernsehens stammen: der Womanizer, der sich nach wahrem Gefühl sehnt; der mit dem Womanzier befreundete (Gegensätze!) Loser mit der fiesen Ex und deren noch fieserem Neupartner, denen er aber wegen der gemeinsamen Tochter nicht aus dem Weg gehen kann; das in die Jahre kommende Girlie, das sich am liebsten in Flugkapitäne verliebt; das frisch zusammengezogene Okayverdiener-Pärchen, dessen Hauptkonflikt darin besteht, daß sie in der Wohnung gerne rauchen möchte und er das nicht ausstehen kann – das alles klingt und riecht und schmeckt dermaßen nach deutscher Krachcomedy, daß es nicht mal der Spiegel übersehen wollte und sinngemäß von »›Ladykracher‹ ohne Lady« schrieb. Im schlechten abgerundet wird das alles durch das ewig gleichschick möblierte Großstadtwohnungsambiente und die übergefällige, ranschmeißerische Serienmusik aus dem Plattenschrank des leidlich avancierten Frühdreißigers. Mit einem Wort: Mehr Seelenlosigkeit, mehr Fließband geht fast nicht.
Wenn Thomas Mann mal definierte, Bildung sei Steigerung der Genußfähigkeit, so ist sie mitunter aber auch für Genußverunmöglichung verantwortlich: Wer einmal die sagenhafte, liebevolle und toll komplexe Single-Britcom »Spaced« (TITANIC 7/2005) verfolgt hat, der kann sich bei so was Witz- und Espritfernem wie »LiebesLeben« nur auf den Werbeblock freuen.



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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
18.04.2024 Berlin, Heimathafen Neukölln Max Goldt
18.04.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt