Inhalt der Printausgabe

Dezember 2005


Humorkritik
(Seite 5 von 8)

Unbehagliche Wiener
Während sich Österreichs Hauptdarsteller der Witzezeichnerszene endgültig in Museen bzw. Großillustrierten eingerichtet haben (Manfred Deix, Gerhard Haderer), soll an dieser Stelle mit Nicolas Mahler ein anderer und bisher viel zuwenig gelobter Zeichner aus dem merkwürdigen Land südöstlich von Bayern behandelt werden. Der 1969 geborene Mahler ist nicht nur räumlich, sondern auch ob seines angenehm unprätentiösen Auftritts und des reichlich absurden Humors irgendwo zwischen Tex Rubinowitz und Rudi Klein anzusiedeln, mit welchen er auch bereits einige gemeinschaftlich verantwortete Cartoonbände vollgemalt hat.
Trotz mittlerweile mehr als zwanzig veröffentlichten Büchern, diversen Kurzfilmen, der Theateradaption eines Comics, der Gründung eines Comicverlages und der Schließung eines Comicverlages hat es der umtriebige Wiener nebenbei auch noch problemlos geschafft, in Österreich seit Jahren ohne Ruhm und Ehre zu bleiben. Lediglich seinem erstaunlichen Erfolg im frankophonen Raum und in den USA ist es also zu verdanken, daß er beim Jammern über die nicht vorhandene heimische Comicszene sein Bier wenigstens selbst bezahlen kann, ohne dringlich auf Illustrationsjobs angewiesen zu sein.
Eine ausführliche Beschäftigung mit seinen bisherigen Arbeiten würde hier den Rahmen sprengen, Einsteigern seien deshalb vor allem seine Bücher »Kunsttheorie versus Frau Goldgruber« und »Flaschko, der Mann in der Heizdecke« empfohlen: ersteres ein autobiographischer Comic über Mahlers Scherereien mit der Finanzbehörde, zweites die Geschichte eines lethargischen Mannes, der permanent in seiner Heizdecke vor dem Fernseher herumlungert und von seiner Mutter genervt wird.
Zuletzt von Mahler erschienen ist in der Edition Moderne der Sammelband »Das Unbehagen«, in welchem sich bereits in der FAZ, dem Standard und anderswo gedruckte Cartoons und kurze Strips befinden. Mit Unbehagen müssen die stets scheiternden Protagonisten leben: Sei es nun bereits auf Seite eins der Sünder in der Smalltalk-Hölle, der vom Teufel mit »Wie geht’s?« angesprochen wird, oder nur eine Seite später ein Junge in der Jugendstrafanstalt: Bewegungslos sitzt er auf einer Schaukel, ohne jedoch schaukeln zu können, da eine schwere Kugel an seinen Fuß gekettet ist.
In dieser Tonart geht’s dann auch auf der nächsten, der übernächsten, der überübernächsten Seite und allen anderen weiter: frustrierte Wissenschaftler, einsame Zauberer undundund. Immer tragisch, meist recht lustig, oft philosophisch. Das aufs Notwendigste reduzierte Inventar und die kunstvoll stilisierten, doch immer gleich aussehenden kugelförmigen Menschen ohne Gesichtsausdruck verleiten aber leider dann doch, wie auch bei seinen Comics, gelegentlich dazu, die meist schwarzweißen Zeichnungen zu überfliegen. Für eine lange und langweilige Zugfahrt ist »Das Unbehagen« deshalb, und auch weil man ruhig ein paar mehr Cartoons hätte mit reinpacken können, wohl nur bedingt geeignet. Für einige kurze, sehr amüsante U-Bahnfahrten jedoch bestens.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick