Inhalt der Printausgabe

Dezember 2005


Humorkritik
(Seite 2 von 8)

Nerviger Gilliam

Terry Gilliam hatte immer schon Einfälle, die auf eine skurrile, absurde oder groteske Art komisch wirken wollten. Im Rahmen seiner Arbeit mit Monty Python ließ man sich seine graphischen Trenner zwischen den Sketchen gerne gefallen. Auch als Co-Regisseur von Filmen wie »The Life of Brian« störte Gilliam die Arbeit des Ensembles kaum.
Wie Gilliams eigene Vorstellungen aussahen, wurde erst nach dem Ende der Python-Ära in den achtziger Jahren klar. Besonders lobenswert fanden viele Kritiker »Brazil« von 1985, eine Collage von Motiven, die literarisch auf Kafka, Orwell, Borroughs u.a. zurückgingen. Auch »Fisher King« und »Twelve Monkeys« waren zumindest Kritikererfolge.
Ich muß zugeben, daß mir seine auf ein jüngeres und damit größeres Publikum zielenden Filme wie »Time Bandits« oder »Münchhausen« in Teilen besser gefallen haben. »Fear and Loathing in Las Vegas« war insofern ein Glücksfall, als die chaotische Erzählweise Gilliams sprunghafter Assoziationsmethode eher entgegen kam, zumal die literarische Vorlage schon als dreiste Drogenphantasmagorie angelegt war. Das Scheitern seiner »Don Quichote«-Verfilmung wurde keineswegs Gilliam angekreidet, sondern trug zu seinem Ruf als unbequemer, unbeugsamer, unangepaßter Kultregisseur noch bei. Mit »The Brothers Grimm« hat Gilliam diesen nun vollendet – leider, muß ich sagen.
Schon die Promotion-Interviews ließen nicht unbedingt Gelungenes erwarten. Gilliam selbst schien sein Produkt nur bedingt zu gefallen, angeblich hatte er alles Mögliche getan, um aus einem reinen Horrordrehbuch etwas Ansehnliches zu machen. Das Ergebnis seiner Veredlungsbemühungen freilich straft alle Vorurteile Lügen – er hat alles nur schlimmer gemacht.
Gerade sein Hang zum Höheren wird Gilliam zum Verhängnis. Statt sich auf einen sauberen Genrefilm zu beschränken, überfrachtet er die Geschichte mit diversen Ambitionen: Auf allen Ebenen soll erzählt werden, wie die Prinzipien von Realität und Phantasie aufeinanderprallen. Ein Konflikt, den auf der menschlichen Ebene die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm selbst versinnbildlichen sollen, was u.a. daran scheitert, daß beide von grimassierenden Darstellern verkörpert werden, die allenfalls für Naßforschheit und Begriffsstutzigkeit stehen könnten; flankiert übrigens von mehr oder minder überflüssigen Knallchargen, die schon durch knüppeldick aufgesetzte Akzente ihren unbedingten Willen zur Karikatur bis zum Überdruß demonstrieren.
Historisch muß die Situation der im magischen Denken befangenen deutschen Bevölkerung unter rational gesinnten französischen Besatzern im Jahre 1806 herhalten, was besonders lächerlich wirkt, da die Bilder von keinerlei Bemühung um jahreszahlenmäßige Authentizität zeugen. Diese Schludrigkeit hat zudem den Nachteil, daß eine grundsätzliche Distanz zwischen vertrauter Wirklichkeit und befremdlichen Visionen im Ansatz erstickt wird.
Daß der Film ohne Sinn und Verstand gemacht ist, war beinahe zu erwarten, denn die erzählerische Ökonomie, die viele Märchen so wirkungsvoll macht, war Gilliams Sache nie; daß er zudem jeden Sinn für Stil vermissen läßt und seine Einfälle dermaßen wahllos über die Geschichte streut, hat mich doch überrascht. Gilliam hält sich einiges darauf zugute, so viele Märchenmotive wie möglich in seinen »Brothers Grimm« untergebracht zu haben – ich finde das ungefähr so verdienstvoll wie den Versuch, so viele Farben wie möglich auf eine Leinwand zu klecksen. Und das Fehlen wirklich komischer Momente kann diese eklektische Methode auch nicht bemänteln.
Das bestätigt meinen Anfangsverdacht – kein Wunder, wenn man selbst den Beweis führt – : Eine Regie findet bei Gilliam nicht statt, und komisch wirkten seine grotesken Pausenfüller eigentlich nur im Rahmen der Monty-Python-Truppe, von deren Renommee er bis jetzt gezehrt hat. Bei mir ist der Vertrauensbonus aufgebraucht – anders als bei den meisten deutschen Filmkritikern, die mit »Brothers Grimm« so zart umgegangen sind, daß ich hier etwas härtere Töne für angebracht halte.
Daß Terry Gilliam das Geld, das er für sein Schundmärchen verpulvert hat (angeblich achtzig Millionen Dollar) von Miramax (und damit von Chefspekulant Harvey Weinstein) bekommen hat, ist der erfreulichste Aspekt dieser Produktion. Etwas Netteres ist dazu nicht zu sagen.

 

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg