Inhalt der Printausgabe

September 2004


Humorkritik
(Seite 7 von 7)

Genazino zum Zweiten
Wie es mich gefreut hat, daß ein alter Freund des Hauses in diesem Jahr den Büchner-Preis gewinnen konnte, habe ich an dieser Stelle ja bereits mit den zartesten Komplimenten zum Ausdruck gebracht. Ich war nun recht gespannt auf das, was der ehemalige TITANIC-Mitarbeiter unter dem vielversprechenden Titel "Wie sich Kohl und Kafka im Komischen verbinden" zu meinem Spezialthema zu sagen hätte. Daß er zunächst beklagt, welche Begriffsunsicherheiten immer dann aufscheinen, wenn es um Komik und/oder Humor, Lächerliches, Groteskes und Burleskes gehen soll, ist kein schlechter Anfang. Danach allerdings wird es komplizierter, denn Wilhelm Genazino braucht recht lang, um zu einer Unterscheidung zwischen Komik und Humor zu gelangen, die ganz anders ist als alles, was sich akademische Denker im letzten Jahrhundert auf diesem Felde ausgedacht haben: Demnach wären unter "Humor" zu verstehen rein äußerliche Lachanlässe vom erzählten Witz bis zur erlebten Lächerlichkeit, während "Komik" als innerer Vorgang definiert wird, der auf privateste Prämissen abhebt. Das ist natürlich ein ziemlicher Blödsinn, denn abgesehen davon, daß ich weiterhin lieber von "Situationskomik" als von "Situationshumor" sprechen möchte, widerlegt Genazino zumindest seine zweite These gleich selbst; und zwar anhand zweier Beispiele, die den Verdacht nahelegen, daß der Wunsch, diese beiden in einem Aufwasch mitzuteilen, zum Zustandekommen dieses Essays nicht unwesentlich beigetragen hat.
Um dem Aufsatztitel gerecht zu werden, zitiert Genazino zunächst eine bekannte Kafka-Anekdote, der die Erinnerungen von Gustav Janouch ihrerseits ihren Titel verdanken: "Einsam wie Franz Kafka". Womit die Pointe auch bereits genannt ist, denn Kafka kontert Jung-Janouchs gutgemeinten Vergleichsversuch, der Ältere sei wohl "einsam wie Kaspar Hauser", mit diesem Nonsens-Selbstvergleich. Daß Kafka über seine eigene Schlagfertigkeit lachen muß, wundert niemanden - außer Wilhelm Genazino, der nach neuerlichen Drehungen und Wendungen des Falls im majestätischen Plural zu dem Schluß gelangt: "Wir können die Frage, warum Franz Kafka gelacht hat, nicht beantworten."
Das zweite Beispiel betrifft natürlich Helmut Kohl, dessen Besorgnisse um den tadellosen Sitz von Anzug und Krawatte Genazino im Fernsehen beobachtet und komisch gefunden hat. Genazinos These, das Komische sei ganz "auf die biographische Singularität des Komik empfindenden Menschen zugeschnitten" und lasse sich im Gegensatz zum Witz nicht erzählen, wird dabei von ihm glänzend widerlegt, indem er mich durch seine Schilderung des Kohlschen Krawattenknotenrichtens und Jackettknopfüberprüfens prompt wieder zum Lachen gebracht hat, obwohl ich die Geschichte aus seinem Munde zuvor schon häufiger gehört hatte.
Und damit wäre ich wieder mal bei einem Vorschlag zur Güte, denn gütig bin ich von Natur: Wilhelm Genazino möge uns weiterhin mit seinen scharfsinnlichen Beobachtungen amüsieren, anstatt uns mit überflüssigen Theorien zu tränken…
Und wem das nicht gütig genug klingt, dem rufe ich zu: Dichter, dichte, denke nicht!


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/i nnen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick