Inhalt der Printausgabe

September 2004


Humorkritik
(Seite 6 von 7)

Kaufmännisches
Wenn man in West Hollywood in eine Kneipe geht und zu erkennen gibt, daß man a) aus Europa kommt und b) irgendwas mit Medien zu schaffen hat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß die Amerikaner am Tisch zu einer Lobrede auf Europa ansetzen. Achtzig Prozent der Gäste in diesen Kneipen arbeiten beim Film, und wenn das nicht stimmen sollte, ist da immer noch der Kellner, der davon träumt, Schauspieler zu werden.
In der Phantasie der Hollywoodler ist Europa ein Kontinent, der seine Künstler ehrt, sie respektiert und - im Gegensatz zu den geldgeilen Amerikanern - auch so manches versponnene Pflänzlein sprießen läßt. Wenn man diese Elogen hört, wird verständlich, weshalb Langweiler wie Wim Wenders oder Roland Emmerich in Hollywood für Künstler gehalten werden, aber ansonsten scheint das nur eine Illustration des Sprichworts "The grass is always greener on the other side" zu sein.
Ein weiteres Hollywood-Lieblingsthema ist jedoch der ewige Kampf zwischen Drehbuchautoren und Regisseuren. Drehbuchautoren meinen, der Satz im Vorspann "Ein Film von …" gebühre eigentlich ihnen, weil sie ja den Film ersannen; Regisseure entgegnen, daß der Film am Set entsteht, und da ist immer noch einer der Boß - nämlich der Regisseur.
Der mittlerweile schon kultisch verehrte Drehbuchautor Charlie Kaufman verkörpert beide Sehnsüchte: den Wunsch nach "europäischer Tiefe" wie den nach Respekt. Kaufman wurde 1958 geboren. Er wuchs an der Ostküste der USA auf. Seine Mitschüler hielten ihn angeblich früh für ein Genie; vor allem, weil sie selten verstanden, was er sagte. Nach ein paar Semestern Filmstudium in Boston und New York ging Kaufman nach Los Angeles zum Fernsehen. Er hatte ein begnadet schlechtes Händchen. Kaufman schrieb für eine erfolglose Sitcom mit Courtney Cox (die später mit "Friends" zum Star werden sollte), statt für Mike Myers ("Austin Powers") arbeitete Kaufman für Dana Carvey (das ist der andere Typ aus "Wayne's World"). Nach einigen weiteren Flops sah es so aus, als bleibe Kaufman nichts weiter übrig, als sich den Herausforderungen des Gebrauchtwagenhandels zu stellen.
Um wieder ins Geschäft zu kommen, schrieb er ein Drehbuch auf eigenes Risiko. Eigentlich sollte es nur als Referenz dienen, aber plötzlich galt "Being John Malkovich" (1999) als der heißeste Stoff der Saison. "Human Nature" (2001) blieb bei der Erstaufführung eher unbeachtet, aber spätestens seit "Adaption" (2002, der Film heißt im Original "Adaptation", die deutschen Fans sagen mit Vorliebe "Ädäptschn") und "Vergißmeinnicht" (2004) halten viele Kaufman für einen drehbuchschreibenden Großintellektuellen.
Etwa Spike Jonze, der Regisseur seines Debüts, und Schauspieler, die zeigen wollen, daß sie mehr können. So spielten John Malkovich (naheliegenderweise), John Cusack und Cameron Diaz in Kaufman-Skripten, Jim Carrey ging mit Kate Winslet auf eine Eisscholle, obwohl man doch seit dem Film mit dem Schiff weiß, daß das nicht gutgehen kann. George Clooney debütierte als Regisseur mit "Confessions of a Dangerous Mind". Selbst der Drehbuch-Guru Robert McKee ("Story") darf bei Kaufman sich selbst spielen und seine Plattheiten verbreiten.
Drehbuchautoren und solche, die es werden wollen, lieben den gebürtigen New Yorker. Auf der Webseite www.beingcharliekaufman.com huldigen sie ihrem Idol, tragen Trivialitäten aus seinem Leben zusammen und bewundern die Scheu und Wortkargheit ihres Vorbilds. Dabei ignorieren sie, daß Kaufman einer der exhibitionistischsten Menschen der Welt ist. In seinen Drehbüchern lebt er diese Neigung aus. Für Kaufman gibt es nur ein Thema, und das ist er selbst. Charlie ringt, Charlie zaudert, Charlie hadert, Charlie fühlt sich unverstanden. Da es ca. sechs Milliarden Menschen ähnlich geht, überrascht nicht, daß er sein Publikum findet.
Kaufmans Texte sind versiert geschrieben, skurril, bisweilen komisch und gern von artistischer Vielschichtigkeit. Nach der extrovertierten Egozentrik von Regisseuren wie James Cameron ("Titanic") oder Produzenten wie Jerry Bruckheimer ("Pearl Harbor") gibt es nun die introvertierte Egozentrik eines Drehbuchautors. Das ist mal was anderes. Aber: Wie lange halten wir das noch aus?


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Wow, Instagram-Kanal der »ZDF«-Mediathek!

In Deinem gepfefferten Beitrag »5 spicy Fakten über Kim Kardashian« erfahren wir zum Beispiel: »Die 43-Jährige verdient Schätzungen zufolge: Pro Tag über 190 300 US-Dollar« oder »Die 40-Jährige trinkt kaum Alkohol und nimmt keine Drogen«.

Weitergelesen haben wir dann nicht mehr, da wir uns die restlichen Beiträge selbst ausmalen wollten: »Die 35-Jährige wohnt nicht zur Miete, sondern besitzt ein Eigenheim«, »Die 20-Jährige verzichtet bewusst auf Gluten, Laktose und Pfälzer Saumagen« und »Die 3-Jährige nimmt Schätzungen zufolge gerne das Hollandrad, um von der Gartenterrasse zum Poolhaus zu gelangen«.

Stimmt so?

Fragen Dich Deine Low-Society-Reporter/innen von Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt