Inhalt der Printausgabe

September 2004


Humorkritik
(Seite 4 von 7)

Neuberliner Mux-Bilderbogen
Die Fähigkeiten des Hauptdarstellers Jan Henrik Stahlberg sind das stärkste Kapital der Kino-Komödie "Muxmäuschenstill", das Halbvermögen des Drehbuchautors Jan Henrik Stahlberg ihr gewichtigstes Manko. Tatsächlich, der Drehbuchautor und Hauptdarsteller in Personalunion scheint mit seinem Helden so leidenschaftlich verbandelt zu sein, daß ihm Unerfindlich- und Unergründlichkeiten, Widersprüche und Brüche durchaus nicht auffallen, während sich beim Zuschauer Fragen über Fragen sammeln: Was soll der gänzlich sinnfreie Name Mux, der für den gänzlich unpassenden Filmtitel offenbar verantwortlich zeichnet, ihn aber nicht im geringsten begründet? Was hat Mux auf seine selbstverwaltet-saubermännische Jäger- und Sammlertätigkeit gebracht? Gab's ein Schlüsselerlebnis? Wie sahen die Anfänge aus und wie weit liegen sie zurück? (Daß Mux laut Selbstauskunft etwas Philosophie studiert hat, daß er eine Volksausgabe des Kategorischen Imperativs herzitiert und ein Kant-Brevier auf dem Nachttisch liegen hat, derlei Details stellen ja allenfalls rührende, doch keineswegs brauchbare Erläuterungsversuche dar.) Woher hat Mux seine Knarre? Warum hat der reisende Mux kein Wörtchen Italienisch drauf, wo er doch italienischer Schlafwagenkellner war?
Usw. usf. - Stahlberg (Jg. 1970) geht bei der Gestaltung seiner Figur ähnlich unreflektiert und spontan vor wie diese beim Aufbau ihres Kontroll-Imperiums, wobei das inkonsequente Vorgehen der Figur freilich zu den Qualitäten des Films gehört; so gibt Mux als egomanisch-geckenhafter Jungunternehmer samt lustbetont selbstentworfenem, hirnrissigem Universalheilsprogramm doch eine postmoderne, geradezu typische Prenzelberg-Erscheinung ab. Und im Duett mit seinem antipodischen Neukumpel gar ein höchst brauchbares Komödiantenpaar - in den episodischen Abenteuern und Dialogen des Pärchens liegt die unbestreitbaren Stärke dieser Schnurre, die kein Filmzentimeterchen lang ernstgenommen werden kann.
Um so verwunderlicher, daß meine Kritikerkollegen hier recht einmütig eine Abhandlung über Initiative und Selbstjustiz erkennen wollen. Wie denn das? Die diesbezüglich notorischen Begleiterscheinungen und Folgen, Konflikte mit offiziellen Ordnungsinstanzen etwa, werden im Muxfilm nicht einmal angedeutet. Nein, ein Thema kennt dieser lustig zusammengepappte Bilderbogen gar nicht, er braucht auch keins. Ausgesprochen dumm aber, daß Stahlberg seinem Helden eine veritable Liebesgeschichte andichtet, deren Unglaubwürdigkeit geradezu hanebüchen ist: Da wird als Bedienung in einer brandenburgischen Provinzkneipe ein Mädchen installiert, das jegliches landestypische Merkmal (Dauerwelle, Übergewicht, Marlboro) vermissen läßt und seinem Äußeren nach geradewegs aus einer Fontane-Verfilmung entsprungen sein könnte; da mutiert der mit allen Neuberliner Wassern gewaschene, lifestylig-labertaschige Neo-Sonderling Mux zum eifersüchtigen Tragöden, wie man ihn kaum dem frühen F. Schiller durchgehen ließe - das abschließende Abbiegen der Filmhandlung ins rein Märchenhafte rettet da auch nichts mehr.
Kurzum, die Gattung der mit geringem Budget und noch geringerem Kompositionsvermögen, engagierten Jungschauspielern, einigem Gespür für witzige Szenen und null Gespür fürs Weglassen des Unbrauchbaren zusammengestopselten Filme oder, wie die Kollegen sagen: des jungen deutschen Kinos ist um einen markanten Vertreter reicher. Und weil die Patchwork-Machart des Films mühelos zuläßt, die schwachen Stellen in der Erinnerung zu löschen, darf man ihn sich getrost antun.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg