Inhalt der Printausgabe

November 2004


Humorkritik
(Seite 5 von 8)

Profi Philipp Tingler
Es gibt nicht allzu viele Tonfälle, die auf Dauer komisch wirken und mir trotzdem nicht auf die Nerven gehen. Philipp Tingler schlägt einen an, der normalerweise sehr rasch unerträglich klingt: das tuckige Getratsche einer narzistischen Literaturbetriebsnudel, die ohne Rücksicht auf andere und sich selbst durch die Intimsphären gondelt und aus der Vorbeibenimmschule plaudert.
Doch ähnlich wie bei seinem entfernten Geistesverwandten Max Goldt werden seine onkelhaften Geschmacksurteile und tuntenhaften Bekenntnisse gedeckt durch persönlichen Charme und ein Stilgefühl, das auf solide Bildung und einigen Scharfsinn schließen läßt.
Wie Goldt führt auch Tingler locker Tagebuch. Im Gegensatz zum Kolumnisten Goldt nennt er das Resultat indes einen "Roman". Und das nicht zu Unrecht: Tinglers Fähigkeit, Dialoge zu schreiben, deren Unterhaltungswert sich einem hohen Fiktionsgrad verdankt, der die Figuren aus ihrer Banalität wohltuend erlöst, kann sich in der längeren Form erst recht entfalten. Bereits Tinglers Erstling "Hübsche Versuche" wird seinem Titel gerecht - was ihm fehlt, ist noch die prominente Besetzung.
Sein neues Tagebuch "Ich bin ein Profi" (Edition Patrick Frey) umfaßt auf gut fünfhundert Druckseiten den Zeitraum vom 13. Juni bis zum 2. Juli 2001. Kein Zufall, denn in diese drei Wochen fallen traditionell auch die "Tage der deutschsprachigen Literatur", das heißt: In Klagenfurt wird wie alljährlich der Ingeborg Bachmann-Preis vergeben. Und der gebürtige Berliner war in jenem Jahr als Vertreter der Schweiz dazu eingeladen.
Wer wie ich als müßiger Pensionär die Sommermonate gern in verträumten Sommerfrischen vertut, weiß die tagelangen Live-Übertragungen im Kultursender 3Sat zu schätzen - weniger die dreißig Minuten, die eine der 18 Lesungen üblicherweise dauert, als die folgende halbe Stunde, in der neun Juroren den jeweiligen Beitrag zu analysieren und zu qualifizieren versuchen. Ihre Bemühungen sagen oft mehr aus über einen Wettbewerbsbeitrag, als dessen jeweiliger Autor es sich träumen lassen durfte. Der Zwang, die Fernsehzeit zu füllen, verbietet es, Urteile von einer Kürze zu fällen, die den meisten Verfassern und dem zu diesem Zweck Verfaßten angemessen wäre. Denn daß kaum einer mehr als ein aufmunterndes "üben, üben, üben", ein mitleidiges "hm, hm", ein neutrales "überflüssig" oder ein schon harscheres "Scheiße" verdient hätte, darüber können kaum Zweifel bestehen.
Auch für Philipp Tingler nicht, der keinen der Beiträge der längeren Rede wert findet - von seinem eigenen natürlich abgesehen. Dafür weiß er um so mehr aus den Nähkästchen der Beiprogramm-Empfänge zu plaudern, wo er Kollegen und Juroren rundum beleidigt haben will. Vor allen hat es Tingler die Ex-Preisträgerin und damalige Jurorin Birgit Vanderbeke angetan, deren hochgemute Auskunft: "Ich bin ein Profi" der Newcomer mit der Frage: "Worin?" vernichtend kontert. Ob es nun so war oder nicht - es wär' schon schön gewesen.
Nebenbei kriegt die Namenspatronesse Ingeborg Bachmann ihr Fett ab: "Ingeborg Bachmanns Leben war geprägt durch Krankenzimmer, Unrast, Medikamente, Alkohol, Morphium, Sex. Es ist sehr schwer, aus diesen Zutaten was Langweiliges zu machen. Aber Frau Bachmann hat es geschafft. Außerdem hat das Fräulein stark querulantische Züge." Was dem Thomas-Mann-Verehrer eigentlich gefallen sollte, denn er hat mit einer ähnlichen Haltung aus etwas sehr Langweiligem recht gute Unterhaltungsliteratur gemacht.


    1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8   


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Also wirklich, »Spiegel«!

Bei kleinen Rechtschreibfehlern drücken wir ja ein Auge zu, aber wenn Du schreibst: »Der selbst ernannte Anarchokapitalist Javier Milei übt eine seltsame Faszination auf deutsche Liberale aus. Dabei macht der Rechtspopulist keinen Hehl daraus, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, obwohl es korrekt heißen müsste: »Weil der Rechtspopulist keinen Hehl daraus macht, dass er sich mit der Demokratie nur arrangiert«, müssen wir es doch anmerken.

Fasziniert von so viel Naivität gegenüber deutschen Liberalen zeigt sich

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt