Inhalt der Printausgabe
Juni 2004
Humorkritik (Seite 4 von 8) |
Kneipenmann Numminen |
Zu den vielen Merkwürdigkeiten der finnischen Spirituosen-Gesetzbarkeit gehört es, daß in einfachen Pinten nur Bier der Kategorie III, also bis 4,5 Volumenprozent Alkohol ausgeschenkt werden darf (und in der Regel auch nur bis 22 Uhr). Wer stärkeren Stoff will, muß ein staatliches Alkoholgeschäft oder eben ein Restaurant aufsuchen. Das können sich aber viele nicht leisten, deshalb findet man das "einfache Volk" vor allem in der "Dreierbierbar". Wer gesellschaftlich noch etwas zu verlieren hat, meidet diesen Ort. Der finnische Tango-Anarchist M. A. Numminen leistet nun praktische Aufklärungsarbeit: Sein Buch "Der Kneipenmann" (Haffmans bei Zweitausendeins) ist kleine Landeskunde, detailreiche Alltagsethnologie und zugleich ein kulturpolitisches Pamphlet zur Rehabilitierung dieser anrüchigen Lokalitäten. Nicht weniger als 132 Dreierbierbars klappert er ab, bestellt zumeist seine "eiserne Ration", also "ein Bier, einen kleinen Kaffee und einen Krapfen", um mit den Menschen dort ins Gespräch zu kommen. Er skizziert mit knappen Worten das mal mehr, mal weniger eigenwillige Interieur, die oft recht kauzige Personnage und schreibt die Anekdoten und Witze mit, wenn denn welche erzählt werden - kurzum, er betreibt soziologische Kärrnerarbeit, teilnehmende Beobachtung im besten Sinne. Und so nach und nach fügen sich diese kleinen Kneipenimpressionen denn auch zu einem detaillierten und vor allem liebevoll-philanthropischen Porträt des Milieus. Die Leute hier sind vielleicht ungebildet, in der Mehrzahl jedenfalls, dumm aber keineswegs! Dafür warmherzig, kommunikativ, großzügig und vor allem witzig. Hat eigentlich jemand etwas anderes erwartet? In Finnland offenbar schon! Im Vorwort erklärt der Autor stolz, daß erst dieses Buch in seiner Heimat die gesellschaftliche Ächtung des "Dreiers", seiner Schankstätten und wohl nicht zuletzt seiner Säufer revidierte habe. Heimeliger Bollerofen-Romantik entgeht Numminen durch die feine Ironie seiner Beschreibungen und seine Grundehrlichkeit, die absolut nichts verklärt: "Numminen hat die Seita-Bar noch nie in Hochstimmung erlebt. Die Leute in Sodankylä verstehen nicht, was es heißt, in Ruhe und Würde zu trinken, betrinken wollen sie sich bloß, jawohl." Für den aufrechten Finnen Numminen jedoch ist Bier nur das probate Schmiermittel für eine reibungslose, schwungvolle Konversation. Und wo die ausbleibt, da hält es auch den Autor nicht lange: "Die berühmte Wettkampfbar zeigt sich nicht von der besten Seite. Es geht phlegmatischer und gedämpfter zu als in der Lähemäki-Bar. Numminen braucht Action! Runter mit dem Bier und raus!" Numminen ist ein Idealist des Trunks, er verabscheut tumben Suff und Koma, propagiert statt dessen einen geselligen, optimistisch-weltumarmenden Hedonismus. In einer hübschen Anekdote scheint sich sein Trinker-Ideal zu manifestieren: "Die Tür geht auf, eine Dame schwankt herein. Sie geht zur Theke und verlangt Bier. Der Kneipier konstatiert, die Dame sei betrunken, Bier könne es für die Dame keins geben. Die Dame bestellt etwas zu essen. Das läßt sich einrichten. Nachdem sie gespeist hat, begibt die Dame sich erneut an die Theke und verlangt Bier. Nein, der Herr Wirt sieht sich nicht in der Lage. Der Herr Wirt zeigt auf ein gelbes Alko-Pappschild, welches den Ausschank von Dreierbier verbietet: an Minderjährige, auf Kredit oder an Trunkene. Die Dame ist trunken. Nimm eine Milch, empfiehlt der Herr Wirt. Die Dame bestellt eine große Milch sowie eine zweite Mahlzeit." Leider muß Numminen jetzt los, und so erfahren wir nicht, "ob die Dame sich mit Hilfe der zweiten Mahlzeit für einen Krug Bier qualifizieren wird". Das sind die wahren Genuß-Säufer, denen er seine ganze Herzenswärme schenkt: Nehmen sogar eine rigide Ausnüchterung in Kauf, um sich hinterher wieder einen ankümmeln zu können. Aber immer akkurat! |
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