Inhalt der Printausgabe
Juni 2004
Humorkritik (Seite 3 von 8) |
Baden gehen und lachen |
Zu den dümmsten und traurigsten und also weitgehend überflüssigen Phänomenen gehören die verzweifelt um Kommunikation bemühten sprachgrenzüberschreitenden Brieffreundschaften - sofern es sie überhaupt noch gibt. Nur selten sind sie zu was nütze, denn nur selten erhält man so schöne, ihre Sinnfreiheit zur Sprache bringende dadaistische Post wie der beneidenswerte Michael Tetzlaff von seiner sowjetischen Brieffreundin Nina: "Anderer Mihailowitsch! Dort bellst du? Hast du die Maschine schon gegessen? Meine Eltern sind Friseure. Sie gehen jeden Tag baden und lachen. Wir haben hier schöne Wurst, fast jeden Tag. Meine Birne ist drei Jahre jünger als ich. Sie pflegt. Kannst du Zäunchen Stahl? Dem ist ein schöner Kindergeburtstag hier im Sojus. In der Bäckerei üben wir sitzen." Und so fort. Vergleichbar Gelungenes kriegen hauptamtliche "Comedians" auch nach wochenlangem Brüten nicht aufgeschrieben. Ich glaube, solche Briefe zu bekommen prägt den Charakter und schult frühzeitig das Sensorium für die Komik des Lebens und den satirischen Blick darauf; und führt dann viele Jahre später u. U. zu einem fürwahr wundervollen Buch wie Tetzlaffs Kindheitserinnerungen "Ostblöckchen" (Schöffling & Co.), das nicht nur Subversives und "Neues aus der Zone" (Untertitel) zu berichten hat, sondern allerlei staatssystemunabhängig Grundlegendes und genau Beobachtetes aus dem absurden Dasein des Menschen - leichtfüßig erzählte Schelmenstücke, zu deren bezauberndem Personal der worterfindende Onkel Peter, die alles in der DDR erfunden habende Oma Lisbeth und der hoffentlich unerfundene stoische Stoffhase Schlappi zählen, der nur ungarisch spricht und leider auch keine Briefe hinterlassen hat. Was hätte ich die gern gelesen! |
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