Inhalt der Printausgabe

Februar 2004


Humorkritik
(Seite 5 von 8)

Komik und Verein

Als ich unlängst in gepflegter Runde beim wohlverdienten Schoppen saß, da fiel die Rede, wie so oft in gepflegten Runden, auf die Neue Frankfurter Schule. Man kam überein, daß diese Gruppe nicht nur in ihren Erzeugnissen etwas Neuartiges bot, sondern auch in ihrer Produktionsweise. Bis dato sei Komisches ausschließlich von einzelnen Autoren, allenfalls von Duos wie Polgar/Friedell oder Qualtinger/Merz geschrieben worden, erst seit den gruppendynamischen 1960er Jahren gebe es Komikkollektive wie Monty Python in England oder die NFS in Deutschland.
Ich war nicht in der Stimmung, die konsensuelle Behaglichkeit des Abends zu trüben. Daher unterließ ich es, den "Allgemeinen Deutschen Reimverein" ins Gespräch zu bringen, der bereits in den 1880ern an den Ufern des Tegeler Sees zusammentrat, um "mit kameradschaftlichem ›Reimauf!‹" seiner Hauptforderung zum Durchbruch zu verhelfen: "Reimen muß die Nationalbeschäftigung der Deutschen werden!" Zu diesem Behufe gab der A.D.R. insgesamt vier Ausgaben seines Organs Die Aeolsharfe bzw. Der Aeolsharfenalmanach heraus. Wer sich in einer gutsortierten Universitätsbibliothek eines der wenigen erhaltenen Exemplare zur Einsicht reichen läßt, bekommt noch heute den Eindruck, daß da ein recht munterer Haufen zugange war, auch wenn er dem Heft nicht entnehmen kann, wer hinter den albern-bombastischen Dichterpseudonymen wie Hunold Müller von der Havel, Agathon von Schewitzky oder Feodor Wichmann-Leuenfels steckte: ein Verbund von seinerzeit recht populären Humoristen wie Johannes Trojan, dem Chefredakteur des Kladderadatsch, und Heinrich Seidel, dem Autor des Bestsellers "Leberecht Hühnchen".
Unter reichlicher Garnierung mit feurigem Pathos und bildungsdünkelhaftem Geschnarre werden in der Aeolsharfe "Blüthen und Früchte aus dem Füllhorn des Allgem. Deutschen Reimvereins" ausgeschüttet, will heißen mutwillig verhauenes Reimwerk: "Meiner Lieder ich nicht schäm' mich, / Sie sind sinnig, sehnsuchtsvoll und sämig." Oder: "Ich wollt', ich hätte mit Vernunft / Mein Leben also abgeleiert, / Daß, kommt der Tod einst in Zukunft, / Getrost ich sprech': ›Jetzt wird gefeiert!‹" Perfiderweise ist auch echte, aus ernstgemeinten Publikationen abgeschriebene Dilettantenlyrik unter die Parodien gemischt, von diesen kaum zu unterscheiden. So wird ein sehr realer A. Zehlicke mit den schönen, guten und wahren Versen "Das Sterben ist eine harte Nuß, / Viel lieber ist mir der Liebsten Kuß" zitiert, und wer sich dabei an die selige Friederike Kempner erinnert fühlt, liegt nicht verkehrt: Die Großmeisterin der unfreiwillig komischen Dichtung wurde in der Aeolsharfe feierlich zum Ehrenmitglied des A.D.R. ernannt und erst anschließend berühmt.
Weiterhin gibt es nicht ganz leichte Preisausschreiben - ausgelobt wird "ein Extra-Ehrenpreis von 3000 M. für Denjenigen, welcher überhaupt das Räthsel des Lebens zu lösen im Stande ist" - und Rezensionen, zum Beispiel die des fiktiven Kritikers Arminius Conradin über den fiktiven Band "Gedichte in Schüttelreimen" des fiktiven Dichters und A.D.R.-Mitglieds Johannes Koehnke: "Unseres Koehnke Gedichte sind weltbekannt. Jeder Gebildete hat sie gelesen. Auch viele Ungebildete haben es. Sie brauchen nicht Jedem zu behagen. Wie zum Beispiel mir. Ich bin überhaupt kein Freund Koehnke's." Nie wird die Ironie aufgelöst und dem Leser eindeutig signalisiert, daß er keine Literaturzeitschrift, sondern ein Witzblatt in der Hand hält, und genau das macht die Aeolsharfe ungleich komischer als die konventionelle Humoristik ihrer Zeit.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt