Inhalt der Printausgabe
September 2003
Stil-Seite Elegant feuern |
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Weil immer mehr Menschen entlassen werden, beschäftigen immer mehr Firmen immer mehr sogenannte "Trennungsexperten", die den Führungskräften zeigen, wie richtig gekündigt wird - damit die auch Infarkte vor Ort entspannt zu händeln wissen. Das Zauberwort heißt sowieso "Trennungskultur" (Spiegel), und wie die in nuce aussieht und funktioniert, verrät Trennungskulturphilosoph Thomas Gsella.
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Regel 1 Trost der Abfindung Grad hat die Frau das neunte Kind, der Kaufvertrag fürs Reihenhaus ist unterschrieben, der Van tiefergelegt - da paßt die fristlose Kündigung gern wie die Faust aufs Auge. Hier sollte der Personalchef die Möglichkeit einer schönen Abfindung ins Spiel bringen, etwa mit den Worten: "Ich schmeiße Sie raus, Sie finden sich ab, und nun schönen Tag noch." Regel 2 Persönliche Ansprache "Frau Maier, wie lange waren Sie unsere Putze? Sechs Jahre? Okay, Sie können abzischen." - "Aber ich bin doch der Klaus, Außendienst, seit vierzig Jahren!" - "Egal, hier die Papiere. Und jetzt raus!" So etwas soll passieren, darf aber nicht. Regel 3 Hart, aber flexibel Die meistgestellte Frage Entlassener lautet: "Warum ich? Natürlich ist mir klar, daß die Neustrukturierung des südindischen Marktes unsere dividendenfinanzierte Kinderarbeit in Ungarn mit 6,3 Prozent des vorjährigen Bruttovolumens belastet, aber ich arbeite doch gar nicht bei Ihnen!" In diesem Fall - und nur in diesem! - ist die Kündigung sofort zurückzunehmen. Regel 4 Grenzen respektieren Schlimme Unsitte zumal bei Global Players: die Entlassung am Kantinenurinal. "Schröder, alter Gabelstapler, wo Sie grade abschlagen: Sie sind gefeuert, ciao." Dezenz ist was anderes... Regel 5 Dezent: Betriebsausflug Bus-Großtrip Opel Bochum, tiefster Winter. Die Lackierer-Gang durchstreift die eisige Rhön, Schnitzeljagd, zwanzig Grad unter Null, alle Blau(!)männer sturzblau, doch dann: eine plötzliche Richtungsänderung, den zu Entlassenden verheimlicht. Folge: Zwölf Plätze bleiben auf der Heimfahrt frei, nachzufragen traut sich keiner. Schließlich haben alle "kalte Füße"… Regel 6 Kein falsches Mitleid Immer wieder fallen Personalchefs in unwürdiges Stottern, wenn sie dem Vater fünf behinderter Kindern kündigen: "Ich... äh... also... wir werden Sie leider hm... rausschmeißen." Aber das muß nicht sein. Wer feuert, besitzt in aller Regel einen hochbezahlten Arbeitsplatz und sollte diesem Privileg auch Ausdruck geben: ein paar Girlanden und Ballons, feinste Schnittchen, dreivier Wannen Kaviar, schon sieht das Personalbüro viel feister aus. Regel 7 Der Dampf muß raus Im Augenblick der Niederlage reagiert der Mitarbeiter häufig aggressiv, droht mit Amoklauf oder Suizid bis hin zur Gründung einer Ich-AG. Experten empfehlen hier die Öffnung eines sog. "Kommunikationsfensters": Man läßt der Wut der Betroffenen freien Lauf, und wenn's zu laut wird, schließt man's leise hinter ihm. Regel 8 Herz zeigen Ein Kündigungsgespräch mit Abschiedsfloskeln wie "Na denn viel Glück!" oder "Ich wünsche Ihnen alles Gute!" zu beenden, ist nicht nur zynisch, sondern auch verlogen. Dagegen kommt ein triumphales "Tscha, Herr Schulz, ich sehe schwarz für Sie!" gleich hörbar von Herzen... Regel 9 Zum Lachen bringen Überhaupt ist Rausschmiß eine zu ernste Angelegenheit, als daß man sie tristen Miesepetern überlassen dürfte. Oft ist Gefeuerten derart zum Weinen zumute, daß nur ein Spitzenwortspiel sie wieder aufheitern kann, zum Beispiel das hier: "Ja gottnochmal, da träumt die Menschheit vom Fliegen, und Sie kommen mir hier mit einem billigen Herzflattern, hehe!" Regel 10 Reiz des Weltkulturerbes Die menschliche Zivilisation ist reich an religiösen "Sinnformationen" (Habermas) wie Heiland, Allah, Buddha u.a; und zumal letzterer hat mit seinem Theorem der karmisch potenten Wiedergeburt bzw. "Wiedereinstellung" (Ludwig Erhard, "Kapital", Bd. 3, S. 473)... - (ausarbeiten) Regel 11 10 auf einen Schlag: Darkroom In den soldatischen Heeren der Industriearbeiterschaft zählt gelebte Gleichgeschlechtlichkeit seit je zum guten Ton. Personalchefs mit der Neigung mitzutun benötigen nur einen Satz: "Ihr seid alle entlassen!" - und schon weiß niemand, wer's gesagt hat, aber immerhin, es ist gesagt. Regel 12 Justitia hilft Nicht comme il faut, aber vorbildlich halbseiden: die bezahlte Vorabtötung des/der Auserwählten durch einen erpreßten Kollegen. Danach ein heißer Tip an die ermittelnden Behörden, schon gibt's zwei Kostenpunkte weniger. Regel 13 verschwin.de Seit Bill Gates nicht länger ein Vorrecht der Reichen und Schönen: die elektrische Post. Sagen Sie Ihrem/Ihrer "Angebeten" doch einfach per E-Mail, daß er/sie gefeuert ist. Das entlastet die Portokasse, und wer das erwartbare "Re:" anklickt und hernach die Option "Löschen" wählt, hat den größten Ärger bereits vom Halse! Regel 14 Auf Nieselregen warten Freistellungen unmittelbar vorm Urlaubstrip oder Weihnachtsfest "versauen" die schönste Zeit des Jahres, gelten als inhuman. Nicht überraschend also, daß laut DGB-Umfrage eine klare Mehrheit Ende Februar (45 % ) und/oder November (87 %) gefeuert werden möchte. Da, so der Tenor, sei "ja praktisch eh nichts los". Regel 15 Die Metrik macht's Prosa - oft ist sie prosaisch. Fein konstruiertes Reimwerk hingegen entwickelt seinen Zauber auch und grade auf dem Feld der Personalverschlankung. Bewährt hat sich das Stückchen "Ihr bunter Odem wehte über Jahre / durch graue Hallen, stet und nelkenschön. / Doch Arbeitskraft, mein Herr, ist eine Ware / und Ihre überflüssig. Wiedersehn." Crux: Auf Verlangen des Kunden sollte der Personalchef ein in "Lucida Handwriting" bedrucktes handgeschöpftes Büttenpapier parat haben! |