Inhalt der Printausgabe
Oktober 2003
Humorkritik
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Jeistreicher Vater |
Es wird doch sonst auch jeder Quatsch erforscht - warum erforscht nicht mal ein Soziologe oder Psychologe oder wer auch immer für so was zuständig ist, in welchen Verhältnissen hauptberufliche Spaßmacher aufgewachsen sind? Meine unwissenschaftliche Vermutung über das Resultat einer solchen Studie: Darstellende Komiker, Komödianten, Entertainer, Clowns etc. führen häufig alte Familientraditionen fort, sie wurden von klein auf in ihrem extrovertierten Tun bestärkt und gefördert. Komische, insbesondere satirische Schriftsteller hingegen kommen eher aus bürgerlichen, unkünstlerischen, humorarmen Elternhäusern; ihre ersten Texte sind mehr oder minder klandestine Versuche, sich gegen eine verständnislose Umwelt zu behaupten. Mir fallen jedenfalls nur drei bekannte komische Autoren ein, die in die Fußstapfen ihrer Väter getreten sind. Der erste ist Friedrich Hollaender, der zweite Walter Mehring, und der dritte schreibt von sich: "Geboren bin ich am 7. August zu Wurzen bei Leipzig, und die Neigung zum Schriftstellern, die mich von frühen Jahren an begleitet, habe ich wohl zum Teil vom Vater mitbekommen." Besagter Vater hieß Georg Bötticher, lebte von 1849 bis 1918 und war ein seinerzeit recht beliebter, inzwischen komplett vergessener Humorist. Sein einziges noch heute bekanntes Erzeugnis ist der Verfasser des Zitats, nämlich Hans Bötticher, besser bekannt als Joachim Ringelnatz. Das Warensortiment von Bötticher senior deckt sich exakt mit dem des Juniors: Gedichte, Erzählungen, Zeichnungen, Beiträge für Humorzeitschriften, Kinderbücher. Viel altbackene, behäbige Humoristik des neunzehnten Jahrhunderts findet sich darunter, aber wenigstens ein Gedichtbändchen liest sich auch exakt hundert Jahre nach seiner Veröffentlichung noch putzfrisch und knackmunter weg: "Das lyrische Tagebuch des Leutnants von Versewitz". Böttichers lyrischer Leutnant nimmt aufs schönste alle Klischees angelsächsischer Pickelhaubenfilmpreußen vorweg. Mit unerschütterlicher Selbstgewißheit verteilt er in zackig-knappem und doch jovialem Ton nach allen Richtungen Zensuren. Goethe läßt er schulterklopfend als "dollen Jesellen" gelten, Schiller gar als "schneidig und kraftjeladen", aber die übrigen Dichterkollegen werden meist im Handstreich erledigt: "Nenne nur beispielsweise Kleist. / Prinz von Homburg jelesen? / Keinen Dunst von soldatischem Jeist! / Sicher nie Fähndrich jewesen!" Auch der Dom zu Köln läßt ihn unbeeindruckt: "Kölner Münster? Na ja - janz schön! / Nettes scharmantes Jebäude! / Muß aber doch janz ehrlich jesteh'n: / Machen zu viel draus, die Leute!" Zu janz kolossaler Form läuft Bötticher in der Tagebuchnotiz von der Rheinfahrt auf. Selbstredend ist der Leutnant von der Bootspartie abermals mehr "furchtbar enttäuscht": "Altes Jemäuer un Weinberge nur - / Ewig dieselbe Leier!" Doch dann ergreift er die Initiative an Bord: "Hübschen Damen mich retirirt… / Nach un nach Kreis erweitert… / Janz ausschließlich Ich Wort jeführt: / Janze Jesellschaft erheitert! // Alles rein in Entzücken versetzt - / Stimmung sich endlich jefunden…/ Aber als Schiff jelandet zuletzt - / Damen mit einmal verschwunden - - // Weiß nich, was Jnädigen kam in Sinn, / Daß nich 'mal Abschied nahmen?… / Möglich - zu jeistreich jewesen bin: / Fehler! Schadet bei Damen!" Es wird doch auch sonst jeder Quatsch nachgedruckt - warum aber kein Bötticher? Zu jeistreich? |
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