Inhalt der Printausgabe
Juni 2003
Humorkritik
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Sinnquerulant Tegtmeier |
Daß Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier der "Vater der Ruhrgebietskomiker" war, wie die Plattenfirma Roof Music/ tacheles! anläßlich der 4-CD-Box "Wunderbar", eines Lebenswerkquerschnitts zum achtzigsten Geburtstag des 1994 Verstorbenen, mitteilt, wird unverbrüchlich von zwei Ruhrgebietskomikern verbürgt. Manger, resp. dessen einzige und einzigartige Figur Tegtmeier "prägte mein Leben", bekennt Helge Schneider, und aus dem Bundespräsidialamt erreicht uns die Botschaft der Karnevalskönigin Joh. Rau: "Seit seinen ersten Auftritten und Schallplatten bin ich ein wirklicher Fan von Jürgen von Manger gewesen." Als ich von Manger/Tegtmeier in den siebziger Jahren regelmäßig im Fernsehen sah, wurde ich zwar kein Fan von ihm - Fans sind in ihrer Unerbittlichkeit doch meist bloß Narren -, aber ich war rasch angetan von diesem schlichten Mann, der, bewehrt mit Arbeiterjackett und Schiebermütze, sein Gesicht verzog, als sei er Jürgen Habermas. Nur war er witziger als der Frankfurter Philosophenkrösus, der ähnlich ausgreifend herumlabert und -nuschelt wie Adolf Tegtmeier aus Herne. Und Tegtmeier war vielleicht auch klüger, wenn er die "Spitzenwerke der Weltliteratur" zu deuten versuchte. Zumindest tönen die tückengespickten Exegesen des Faust, des Wilhelm Tell oder des Lohengrin noch heute ausgenommen hörenswert. Da agiert von Manger, im Gewand des gutmütigen, bildungsbeflissenen Proleten, sprachverrenkerisch nah an Heino Jaeger, dem Vater der norddeutschen Lachkultur. Wagner, so tegtmeiert dieser vor sich hin, sei "noch einer von die ganz wenige Komponisten, die noch alle Töne in die Melodien reinpacken", im Gegensatz zu diesen "jungen Spritzern", und "sicher, dadurch is' er auch 'n bißchen lauter als die andern". Daß sich an solche Tiefsterkenntnisse eine konsequent wagnerabweisende Exkursion zur Frage der Beziehung zwischen Walfischen, Kühen und wasserdichten Tranhäuten anschließt, ist lauter und gut, wahrheitsfördernd und schön. Aus Brechts berühmtem Lohengrin-Bonmot "Mein lieber Schwan!" wird dann stimmig ein "Mein lieber Walfisch!". Das Dialogische war, wie die Kompilation etwa an der Nummer "Die Fahrschulprüfung" deutlich macht, von Mangers Stärke nicht. Um so stärker und nämlich grammatikalisch und semantisch sinnquerulatorisch i. S. des Vaters des bayerischen Boheis, Karl Valentin, parlierte der nichtendenwollende Erzähler und Brabbler, der monologisierende Kumpel und Quasselquatschkopp. Da nahm er die verstümmelte Syntax eines Dieter Hildebrandt vorweg (oder auf?), wirbelte, dem Pott-Idiom gehorchend, Casus und Numerus durcheinander und verunklarte alles, was ihm vor die Schnauze kam, gemäß dem Motto: "Ich möchte endlich mal die Sache klarreden." Des Lebens Umständlichkeit in vielfacher Verstrickung beredend, stolperte Tegtmeier hoffnungslos halbwissend gegen Autoritäten an, geduldig, liebevoll, scheiternd. Selten grantelte er - etwa wider die Vorstellung, "als wenn der Neger und andere Völker nur Blödmänner wär'n", und da er die Gruppe 47 zum "Konzern für Romane, Geschichten" erklärte, schien er schon allzu gescheit. Jenseitig glanzvoll aber bleibt bestehn die zwanzigminütige Ansprache eines vollständig verwirrten Zeitungsgenossen ("Tagespresse und Pluralismus"), die derart irrsinnig das Pressewesen zu erhellen versucht, daß das olympwürdige Dekret uns weiterhin heimleuchten möge, die Zeitungen sollen "den ganzen modernen Käse im Gehirn des Menschen auf Vordermann bringen". Weshalb Jürgen von Manger somit der Kraus der rührigen Ruhrwelt noch über Wien und Berlin hinaus war. Und ist. |
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