Inhalt der Printausgabe
Dezember 2003
Flüchtlingsschelte Go West (Seite 1 von 5) |
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Mit dem Vorschlag, in Berlin ein "Zentrum gegen Vertreibung" zu errichten, hat Vertriebenenvorsitzende Erika Steinbach (CDU) für helle Aufregung gesorgt. Linkskommunisten und Polen befürchten, die Deutschen wollten sich zu den eigentlichen Opfern des Zweiten Weltkriegs machen, der Kanzler wittert "das übliche Nazigedöns". | ||
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Erika Steinbach, 60, hat Albträume. Sie kann diese Nacht einfach nicht vergessen: die Eiseskälte, den Schneesturm, die Hilflosigkeit, die Verzweiflung. Mutterseelenalleine, auf dem Weg nach Westen, nur mit einer Handtasche und dem, was sie auf dem Leib trägt, nämlich einem Rena-Lange-Kostümchen mit Pelzbesatz und Glitzerkram, nachts auf der A3 Richtung Köln mit Getriebeschaden am neuen Daimler. "Der Iwan war praktisch überall", erinnert sich die Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen unter Tränen an ihren rußlanddeutschen Schäferhund, "hinter dem Auto, vor dem Auto, unter dem Auto - und dann hat er den Mann vom ADAC gebissen. Braver Hund!" Die CDU-Politikerin hat sich nicht nur beim größten deutschen Automobilclub Feinde gemacht. Nach ihrem Vorschlag, eine 166 Kilometer lange Mauer rund um West-Berlin zu ziehen, hat auch ihre nächste Idee, mitten in die Hauptstadt ein "Zentrum gegen Vertreibung" zu pflanzen, für eine heftige Debatte gesorgt. Während die Vertriebenenverbände diplomatisch lobten, daß endlich einmal "die von den dreckigen Bolschewisten verübten Verbrechen am deutschen Volkstum" thematisiert würden, gab für viele Alexander Klaws, 20, zu bedenken, hier wolle man wohl von Deutschen begangenes Unrecht relativieren. Wieder einmal hat die Deutschen ihre Vergangenheit eingeholt. Als Günter Grass letztes Jahr in seinem leicht lesbaren Unterhaltungsschinken "Im Arschkrebsgang" den Untergang des Flüchtlingsschiffs "Leutnant Gustloff" thematisierte, schienen viele erleichtert, daß die deutschen Opfer des Nazikrieges in den Blickpunkt rückten. Auch als es anschließend um den Bombenkrieg gegen deutsche Städte ging, waren die Medien über Nacht voll von Augenzeugenberichten über geschmorte Kinder, zerfetzte Leichen und den neuen Ferrari 1602 GTI. Die Diskussion um das Vertreibungszentrum hat jetzt abermals den gewaltsamen Austrieb der Deutschen aus Ostpreußen, Pommern, Schlesien und dem Paradies (Sudetenland) auf die Tagesordnung gespült. "Die Deutschen erinnern sich wieder", sagt Dirk Schulz vom Institut für Zweitgeschichte der Uni Lüneburg, "aber was wollte ich eben sagen? Rufen Sie mich doch morgen noch mal an, meine Nummer ist… äh…" Auch als Deutscher hat man gelitten, z.b. unter Willy Fritsch Die Täter von damals - die Opfer von heute? Die einen sagen so, die anderen Sieg Heil. Unbestreitbar ist, daß der Einfluß der Vertriebenen auf die Politik immer noch immens ist: Ob es um eine Verschärfung der Nürnberger Gesetze geht oder um das Verbot der SPD - die ostdeutschen Landsmannschaften sind dafür und werden von Politikern aller Parteien nach wie vor hofiert. Selbst Antje Vollmer (Grüne) hat ihren Zweitwohnsitz mittlerweile ganz offiziell im Hintern von Herbert Hupka (102), und CSU-Heros Edmund Stoiber hat sogar seinen Lebenslauf frisiert: "Geboren am 30. Januar 1941 in Königsberg, kämpfte ich bis zum letzten Atemzug gegen den Bolschewismus und wurde mehrfach vergewaltigt, bevor ich von PG Glos im Leiterwagen nach München gezogen wurde." | ||
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