Inhalt der Printausgabe

September 2002


Humorkritik
(Seite 6 von 7)

Ernst Jüngers Schwänke

In seinem Kriegstagebuch "In Stahlgewittern" referiert der große deutsche Humorist Ernst Jünger neben Martialischem ("Wieder winkte ein blutiges Fest") auch "mancherlei Schwänke", die er im Feindesland aufgeschnappt hatte und die dort nach Jüngers Zeugenaussage bereits "in Friedenszeiten Straßen, Weinschenken und Wochenmarkt in schallendes Gelächter versetzt hatten". Ich zitiere: "Gut war auch die Geschichte einer alten Schraube, die gegenüber wohnte und sich durch einen seltsam zur Seite verbogenen Schwanenhals auszeichnete." Auszeichnete, potzblitz, sehr guter Anfang, mißgestaltete Frau alias Schraube! "Sie war vor zwanzig Jahren als ein Mädchen bekannt gewesen, das sich durchaus verheiraten wollte." Trotz der Halskrümmung, wohlgemerkt. Hier werden sich die Tölpel im Offizierskasino bereits gebogen haben vor Lachen, aber jetzt kommt Jüngers Pointe: "Sechs junge Leute verabredeten sich, und jeder nahm ihr das gern gegebene Versprechen ab, bei ihren Eltern um sie anhalten zu dürfen. Am nächsten Sonntag fuhr eine Riesenkutsche vor, in der diese sechs jungen Leute saßen, jeder mit einem Blumenstrauß in der Hand. In ihrem Schrecken verschloß sie [die Frau, nicht die Kutsche, H.M.] das Haus und versteckte sich, während die Freier zum Ergötzen der Nachbarschaft ein tolles Allotria auf der Straße vollführten."
Schallendes Gelächter, die erste. Und als ob das nicht schon eine Spitzenanekdote wäre, setzt Jünger gleich noch eine drauf: "Oder folgendes Histörchen: Auf den Markt kommt ein berüchtigter junger Cambrésien und fragt eine Bauersfrau, auf einen weichen, runden und appetitlich mit grünem Lauch bestreuten Käse zeigend:
›Was kostet dieser Käse hier?‹
›Zwanzig Sous, mein Herr!‹
Er gibt ihr die zwanzig Sous.
›Der Käse gehört also jetzt mir?‹
›Gewiß, mein Herr!‹
›Ich kann also mit diesem Käse machen, was ich will?‹
›Aber gewiß doch!‹
Klatsch, wirft er ihr den Käse ins Gesicht und läßt sie stehen."
Während der köstlich amüsierte Autor zu neuen Waffentaten aufbricht ("Auch wir wurden vom Draufgängertum gepackt und wetteiferten, einige Handgranaten aufraffend, uns an diesem Berserkertum zu beteiligen"). Und diesem primitiven, unter aller Kanone herumhumorisierenden Doofmann lagen später parallel ein deutscher Bundeskanzler, ein Bundespräsident und ein französischer Ministerpräsident offiziell zu Füßen, bloß weil der Doofmann ururalt geworden war und dadurch irgendwie veredelt wirkte, wenn man nicht so genau hinsah.
Als professioneller Mörder mag Ernst Jünger seine Meriten gehabt haben. Als Humorist war er ein Rohrkrepierer. Klatsch, dem Weib den Käse ins Gesicht, bruharrharr, und danach allerlei maskulines Allotria auf der Straße, darüber lachte dieser Primat, der leider immer noch bei vielen zurechnungsfähigen Menschen in hohem Ansehen steht. Für mich hat sich dieser Fall von maßloser Selbstüberschätzung allein durch das saudumme Wort "Histörchen" wie von selbst erledigt.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg