Inhalt der Printausgabe

September 2002


Humorkritik
(Seite 4 von 7)

Leichenschau

Das hier bereits mehrfach und zuletzt 1997 sehr ausführlich gewürdigte Schweizer Satiremagazin Nebelspalter erscheint zu meinem nicht geringen Erstaunen immer noch, obwohl doch der Großteil der "Nebi"-Leser die Lesebrille mittlerweile für immer verlegt haben dürfte. Da ich meine aber jüngst zufällig im Kühlschrank wiederfand, zog ich mich mit einigen aktuellen Nebelspaltern zur eventuellen Belustigung zurück.
Wie schon immer, sind auch heute noch die Leser mit ihrem Blättli sehr zufrieden: "Freue mich jedesmal über den neu ›aufregenden‹ Nebi. Über das Titelbild mußte ich lachen", teilt ein Peter Bichsel aus Bern mit, der das aufregende Wort "aufregend" tatsächlich in Anführungszeichen gesetzt hat - der "alte" Ironiker. Doch das ist nur ein ganz kleines Lob gegenüber Erica Cellas aus dem schönen Chur: "Kompliment! Die Ausgabe zum Thema Landwirtschaft ist wieder einmal ein Volltreffer, besonders die Seiten 36/37 - unter vielen anderen!" Dann wird sich noch ganz höflich für die schönen Buchpreise bedankt, und schließlich bedankt sich die Redaktion noch für weitere Post, die aber leider nicht abgedruckt wurde.
Noch immer ist die Schweiz eine heile Witzwelt mit Satirikern, die unter der Traditionskrankheit Pseudonymitis leiden. In den 80er Jahren nannten sie sich "Boris", "Pin", "Schtächmügge" und "Puck", heute tragen sie die Namen "Hähnchen", "Kobold", "Opticus" und "Irène". Letztere soll mich wohl in den Glauben wiegen, in der Schweiz verstünden sogar Frauen etwas von Humor und Satire. Politik ist natürlich nicht ihr Thema, sie meint vielmehr: "In der Nachtbar / ist ein Nachbar / unbezahlbar, / wenn er zuhört - / das ist machbar / in der Nachtbar." Erschienen ist dieser Scherz in keiner bestimmten Rubrik, er steht vielmehr in einer wirren Auflistung oft gehörter Schüttelreime, Limericks und Vierzeiler. Ringelnatz und Morgenstern lassen müde grüßen.
Der Fels in der Brandung ist aber nach wie vor "Sprüch und Witz vom Herdi Fritz". Dessen Humorverständnis hat sich nicht geändert. Immer noch geht er es geruhsam an, läßt Tiere sprechen, stellt unlustigen "Herrenwitzen" lange Erklärungen voran und erhebt mahnend gegenüber uns Deutschen den Zeigefinger: "Holdnachbarliches Deutschland: Seufz! Laut Statistik kommt auf 10 000 Deutsche ein Irrer. Und die 9999 singen dann den Schlager, den der geschrieben hat." Diese Art von Witzen konnten in allen mir vorliegenden Nummern des ersten Halbjahres 2002 entdeckt oder unter www.nebelspalter.ch nachgelesen werden. Sie greifen niemanden an, tun keinem weh und bringen den Schweizer Zeitgenossen dennoch zum Lachen.
Wer mich nun fragt, welcher Spaß, welches Witzlein oder welche Zeichnung mir im Nebelspalter am besten gefallen hat, dem zeige ich die letzte Seite der Mai-Nummer 2002: Hier stört kein Bild, kein Text und keine alberne Werbung - alles ist schwarz. Ein großes Nichts.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Zeit«,

Deine Überschrift »Mit 50 kann man noch genauso fit sein wie mit 20«, die stimmt vor allem, wenn man mit 20 bemerkenswert unfit ist, oder?

Schaut jetzt gelassener in die Zukunft:

Deine Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick