Inhalt der Printausgabe
Oktober 2002
Vom Fachmann für Kenner (Seite 10 von 16) |
Andacht Das Rüdesheim der Normandie heißt Mont St. Michel. Wie in der Drosselgasse schiebt sich dort eine nicht enden wollende Touristenwurst durch ein schmales, von historischen Gebäuden gesäumtes, kopfsteingepflastertes Wegelein felsaufwärts. Ganz oben quillt sie dann über einen Vorplatz mit windumtoster Rundumsicht in eine kleine, steinalte Kirche hinein. Drinnen wird gerade eine Messe gehalten. Ein Priester sprechsingt auf Französisch, davor knien einige Mönche. Während die meisten Besucher lediglich stippvisitenmäßig umherschlendern, lassen sich ein paar von ihnen auch auf den Bänken nieder. Ich selbst lehne mich an eine Säule, da ich den Mönchen ein wenig bei ihren Ritualen zuschauen möchte; nicht weit entfernt sitzt ein junges Regenjackenpärchen. Die beiden halten den Kopf gesenkt, die Augen andächtig geschlossen und die Hände im Schoß gefaltet. Reglos verharren sie und lauschen der Litanei, während sie im Stillen mitbeten. Einige Minuten geht das so, dann wendet sich der Mann plötzlich halblaut und auf Deutsch an seine Freundin: "Schade, daß man überhaupt nichts versteht." Die Angesprochene nickt, die Augenlider schließen sich erneut, und schon hören Mann und Frau weiterhin begeistert nicht zu. Aber egal: Kirche 2002 - froh, wenn überhaupt noch jemand kommt. Niels Jürgens
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