Inhalt der Printausgabe

Februar 2002


Humorkritik
(Seite 7 von 7)

Aus der Dichterklause

Was haben die Dichter Konrad Kümmel, Hans Schrott-Fiechtl, Leo Tepe van Heemstede oder Bruder Willram (eigentlich Prof. Anton Müller) mit den Dichterinnen Ilse von Stach, Jassy Torrund (eigentlich Josepha Mose) und Margarete von Buol gemeinsam? Sie legten, gemeinsam mit weiteren Kollegen, in einem im Herder-Verlag erschienenen Sammelwerk mit dem Titel "Dichters Werden" Zeugnis davon ab, durch welche Umstände und auf welche Weise sie zu Poeten wurden, die zu dieser Zeit insgesamt schon viele aberhundert Bücher in die Welt geworfen hatten. Das war 1918, heute will kein Mensch mehr auch nur eine halbe Seite von diesen einst weitberühmten Dichtersleuten lesen. Auf eine Art sehr verständlich, auf andere Art recht schade. Mir sind diese Menschen nach intensiver Lektüre ihrer Bekenntnisse regelrecht ans Gemüt gewachsen.
Da findet sich etwa die liebe Ilse Franke-Oehl, die 1881 in "Göttingen an der lehmgelben Leine das goldne Licht der lieben grünen Erde" erblickte. Ilse berichtet unter der überschrift "Aus dem Wunderwald meines Lebens. Dichtung und Lichtung" rückhaltlos über ihren Werdegang als Poetin: "Die ersten Regungen des erwachenden Triebes zum künstlerischen Schaffen machten sich bei mir bemerkbar, als ich kaum kriechen konnte." Kein Wunder, schrieb doch schon die Mutter Romane wie "Die Hungersteine" oder "Der Unkenteich". Angeleitet von literarischen Freundinnen des Hauses, Annemarie von Auerswald und Elly Gans, Herrin zu Putlitz, fabrizierte Jung-Ilse Gedichte noch und noch. "Dann kam in einer Dezemberwoche des Jahres 1903 mit dem Schneegestöber vom weißgrauen Himmel herab ein Buch Aphorismen, 600 in acht Tagen." In einem ihrer Schreibhefte verzeichnet sie penibel die Abfolge: Am 7. Dezember kommen 136 Aphorismen, am 8. Dezember 104 Aphorismen, am 9. Dezember sind es ganz genau 100 Aphorismen. Und so fort und fort, in acht Tagen 600 Stück. Sie vermehren sich rasch noch um weitere 275 und treten beim Verlag von Dr. Hugo Vollrath in Leipzig unterm Titel "Lebenskunst" ins Licht der Welt. Ilse stolz: "Noch heute erscheinen diese Gedankensplitter in den angesehensten Zeitschriften."
Damals freilich, "als ich sie schrieb, so schnell schrieb, daß die Arbeitsstunden eines Tages kaum für das bloße Niederschreiben ausreichten, war meine gute Mutter fast um mich in Sorge. Jede Nacht zu später Stunde kam sie in meine Kemenate und mahnte: ›Höre auf, Meierchen! Bei dir ist ein Rädchen losgegangen. Ich habe Angst, daß es bricht.‹" Tat es aber nicht. Ratterte vielmehr weiter! Aber: "Das eine möchte ich noch betonen, daß ich, so sehr ich mich als Werkzeug unbekannter, treibender Seelenkräfte fühle, doch etwas ganz klar und bewußt zu eigen habe: das ist der unsichtbare Kunstrichter in mir, der unbestechlich und streng über jedem Werke wacht." Und dieser, gewiß kein "Richter Gnadenlos", hatte eine harte Aufgabe, denn "ich schrieb über 1600 Gedichte, weit über 1000 Aphorismen, einige hundert Vierzeiler, wenigstens 50 gedruckte Skizzen und Novellen, einen Roman, einige Märchenbücher und viele Artikel, ganz zu schweigen von einigen dramatischen Versuchen und einer Reihe von Romanen, die noch der Vollendung harren."
Schwerer Dienste tägliche Bewahrung, wie der Dichter sagt. Heut' lacht man vielleicht drüber! Aber warum eigentlich?


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt