Inhalt der Printausgabe
Dezember 2002
Wie Siegfried Unseld einmal zu Grabe getragen wurde (Seite 2 von 9) |
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Das "Ave Maria" war verklungen, das Publikum verstummt. Ein Handy dudelte selbstvergessen Offenbachs Cancan. Dann sprach die Bürgermeisterin von der "ostentativen Begeisterungsfähigkeit" des Hingeschiedenen, von der ich allerdings nur wenig, allzuwenig mitbekommen habe. Sie unterstellte mir sogar eine "Beziehung" zu Unseld, "wir alle" hätten eine gehabt, sagte sie, was aber frei erfunden war. Hauptsächlich bedauerte sie, daß Unseld, dem sie vor Wochen die Ehrenbürgerschaft der Stadt Frankfurt geschenkt hatte, nun nicht mehr am Festakt zur Verleihung dieser Würde würde teilnehmen können. Nun machte sich der Suhrkamp-Autor Adolf Muschg am Mikrofon zu schaffen. Ein Schweizer. "Unersetzlich" sei der Ex-Verleger gewesen. Sicher, manch ein Mensch ist unersetzlich - aber Bücher sind es doch auch! Ein Buch kann ein anderes Buch nicht ersetzen, auch wenn es sehr ähnlich aussieht oder ähnlich viel kostet. Das wußte Unseld, hatte er immer gewußt. Ein Roman wie "Ehen in Philippsburg" kann einen Roman wie "Mutter und Milosevic" nicht ersetzen, auch wenn beide Romane gleich gut, ja gleich genial sind. Doch es hilft nichts: "Mutter und Milosevic" blieb bis heute ungedruckt. So unglaublich das klingen mag. Amos Oz und Imre Kertesz wollten auch noch gerne sprechen, aber die beiden Juden mußten zuhören, wie ein Adolf mit rrrollendem R endlos über einen Siegfried sprach. Muschg versuchte offenbar abzulenken, Zeit zu gewinnen. Das Unausweichliche hinauszuzögern. Aber ich durchschaute alles. Er hielt mich offenbar für einen Anfänger. War ich ja auch - aber nicht mehr lange. Ich spürte ein angenehm schweres Gewicht sicher in meiner rechten Hand. |
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