Inhalt der Printausgabe

Dezember 2002


Humorkritik
(Seite 6 von 7)

"Juhr Gait Tu Hewi Mettäl"

Genau so heißen leider die Versuche, geneigten Lesern das dröhnende Subgenre Heavymetal auf besonders "witzige" Weise näher zu bringen - Versuche, die auf Anhieb meine sämtlichen Vorbehalte auf den Plan rufen. Noch verdammungswürdiger lautet der Untertitel dieses Buches aus dem Uzzi-Verlag Düsseldorf: "Heavy Metal: Bands, Fakten, Hintergründe. Eine ernsthafte Satire".
Was indes eine ernsthafte Satire sein soll, wird Verfasser Till Burgwächter kaum wissen, selbst ich kann mir keinen Reim darauf machen. Überhaupt fällt eine verbreitete begriffliche Schwammigkeit auf, in deren Umfeld auch immer wieder der Begriff "Realsatire" anzutreffen ist. Jeder ahnt ungefähr, was damit gemeint sein könnte, aber, Hand aufs Herz: Realsatire gibt es nicht, kann es nicht geben. Schließlich ist Satire stets Reaktion und nicht Aktion, basta. Aber die gar nicht mal mehr so jungen Burschen und Bürschinnen in den Heavy Metal-Illustrierten halten auch Dietmar Wischmeyer und Wiglaf Droste für Satiriker. Sie sehen schon, hier kommen wir nicht weiter. Weiterkommen wollen aber vor allem die Heavy Metal-Illustrierten. Mit steigendem Anteil intelligenter Apologeten nimmt auch der Wunsch zu, sich so penetrant wie möglich dem bürgerlichen Feuilleton anzudienen. Da wird nun gerne ein Sums zusammengeschrieben, wie er nicht schlimmer in der Zeit stehen könnte. Keine Musikrichtung bettelt derzeit hündischer um Anerkennung und sogar wissenschaftliches Ernstgenommenwerden. Wir lesen die immergleiche Geschichte vom teilzeitverrückten Kleinbürgernachwuchs, der temporär über die Stränge schlägt, um anschließend doch was Rechtes, Respektables zu werden. So wäre Heavy Metal durchaus die passende Vertonung einer Jockel-Fischer-Vita.
In diesen Heavy Metal-Illustrierten hat sich ein Berufsjugendlichentum etabliert, das jedem Nanotrend munter hinterherwackelt bzw. ihn erst einmal herbeigriffelt und das den Lesern dreist als Freiheitsliebe verkauft; doch die vielbeschworene "Freiheitsliebe" (Michael Rensen) vieler Heavy Metal-Autoren ist oft nur die Freiheit von den Regeln der Grammatik - auch wenn mit diesem Makel mal mehr, mal weniger witzig kokettiert wird. Ist Heavy Metal denn tatsächlich noch "ein Faustschlag ins biedermännische Heilewelt-Lächeln" der "verrohten Industriegesellschaft"? Nö. Die Fundamente für eine am ehesten noch mit "Meine Melodie" und anderen Zentralorganen der volkstümelnden Schlagerindustrie vergleichbare Rezeptionshaltung sind längst gegossen. Nur daß die vollzeitverrückten Volkstümler nicht ständig herumbrüllen, sie seien nicht spießig; natürlich sind sie es. Aber ein noch schlimmerer Spießer ist nur der, der dauernd hinausposaunt, er sei keiner.
Der letzte, der irgendeinen Sinn für Humor, für Komik aufbrächte, ist nun mal der Spießer; er versteht höchstens "eine gehörige Portion Spaß" (Klappentext). Dieser "Spaß" erschöpft sich schnell in "witziger Schreibe", witzig gemeinten Übersetzungen aus dem Englischen (siehe Buchtitel) und witzigen Anzüglichkeiten in verschiedensten qualitativen Abstufungen. In Abwandlung eines Thomas-Kapielski-Wortes möchte ich fragen: Wieviel Platz hat der Witzige unter allen, die bemüht sind, witzig zu sein? Keinen.
Der "ernsthaften Satire" in "Juhr Gait Tu Hewi Mettäl" ist daher eine möglichst kleine Verbreitung zu wünschen. Und so spreche und schreibe ich hiermit wärmstens eine Nichtkaufempfehlung aus.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Aaaaah, Bestsellerautor Maxim Leo!

In Ihrem neuen Roman »Wir werden jung sein« beschäftigen Sie sich mit der These, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das maximale Lebensalter von Menschen mittels neuer Medikamente auf 120, 150 oder sogar 200 Jahre zu verlängern. Grundlage sind die Erkenntnisse aus der sogenannten Longevity-Forschung, mit denen modernen Frankensteins bereits das Kunststück gelang, das Leben von Versuchsmäusen beträchtlich zu verlängern.

So verlockend der Gedanke auch ist, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2086 bei bester Gesundheit von der heimischen Couch aus zu verfolgen und sich danach im Schaukelstuhl gemütlich das 196. Studioalbum der Rolling Stones anzuhören – wer möchte denn bitte in einer Welt leben, in der das Gerangel zwischen Joe Biden und Donald Trump noch ein ganzes Jahrhundert so weitergeht, der Papst bis zum Jüngsten Gericht durchregiert und Wladimir Putin bei seiner Kolonisierung auf andere Planeten zurückgreifen muss? Eines will man angesichts Ihrer Prognose, dass es bis zum medizinischen Durchbruch »im besten Fall noch 10 und im schlimmsten 50 Jahre dauert«, ganz bestimmt nicht: Ihren dystopischen Horrorschinken lesen!

Brennt dann doch lieber an beiden Enden und erlischt mit Stil: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick