Inhalt der Printausgabe

April 2002


Humorkritik
(Seite 5 von 7)

Bernhards Gespräche

Ich kann dem Kollegen Harald Schmidt nur recht geben: Dies Buch ist unbedingt zu empfehlen! Karl Ignaz Hennetmair hat "Ein Jahr mit Thomas Bernhard" (Residenz Verlag) festgehalten, und dies "versiegelte Tagebuch 1972" war für mich neben Josef Skvoreck´ys Roman "Das Mirakel" das Unterhaltsamste, was ich im letzten Jahr gelesen habe.
Die Leistung des Realitätenhändlers Hennetmair besteht darin, daß er seine freundschaftlichen Beziehungen zu Thomas Bernhard schamlos ausgenutzt hat, um einer staunenden Nachwelt restlos alles über dessen bedenklichen Lebenswandel mitzuteilen, gefiltert allein durch ein Erinnerungsvermögen, dessen Begrenztheit er selbst beklagt, während es mir ganz erstaunlich präzis vorkommt, wenn man bedenkt, daß der Biograph ganz nebenbei noch seinem bürgerlichen Beruf als Immobilienmakler nachzugehen und eine mehrköpfige Familie zu versorgen hatte, in deren Schoß dem Dichter offenbar ganz animalisch wohl war.
Die Konsequenz, mit der Hennetmair sein Unternehmen genau auf ein Jahr beschränkt, ist für den gebannten Leser zwar bedauerlich, hat jedoch, was die naheliegende Versuchung angeht, länger zurückliegende Vorgänge späterhin neu zu bewerten oder zu beschönigen, nur Vorteile. Auch was seine Vorurteilsfreiheit und Pietätlosigkeit betrifft, überragt Hennetmair den zurecht gerühmten Eckermann - wobei eine Einschränkung zu machen wäre: Bernhard ist nicht Goethe. Was ersterer zu sagen hat, ist selten von weiterreichender Bedeutung. Hennetmair selbst bedauert ein ums andere Mal, daß er bloß einen matten Abglanz der Bernhardschen Entertainerqualitäten geben könne. Nein, der Reiz dieser Mitteilungen und Mutmaßungen liegt gerade im Schalen und Banalen und dem schmalen Grat, der das manisch Schamanische seiner öffentlichen Äußerungen vom Scharlatanischen seiner privaten Absichten trennt.
Und wenn ich ehrlich bin, erhöht sich dieser Reiz für mich noch erheblich dadurch, daß Hennetmairs Darstellung keinen Unterschied macht zwischen Haupt- und Staatsaktionen, wie der Inszenierung eines Festspielskandals in Salzburg, und Dummejungenstreichen oder häuslichen Katastrophen wie einer Fernsehgerätereparatur.
Warum ich letztere erwähne? Weil ich sie kurz nacherzählen möchte: Also, Bernhards altes Schwarzweißmodell litt unter einer chronischen Röhrenschwäche, die nach ca. halbstündiger Laufzeit zu einer vom Rand ausgehenden Unschärfe zu führen pflegte, die am Ende den gesamten Bildschirm verdunkelte. Ein Zustand, der dem begeisterten Fernsehverächter Bernhard so unerträglich wurde, daß er endlich, seinen chronischen Geiz überwindend, das Gerät zur Reparatur weggab, mit dem Ergebnis, daß er es samt Rechnung unverändert schadhaft zurückbekam, worauf er mit Hennetmair einen Plan entwarf, der allein zur Überprüfung der Behebung des Schadens geeignet schien: Der Besitzer solle, wenn ihm die Werkstatt signalisiere, der Defekt sei behoben, verlangen, das Gerät einzuschalten und im eingeschalteten Zustand für eineinhalb Stunden zu belassen - welche Wartezeit Bernhard im Kaffeehaus zu verbringen vorgebe, um dann allerdings bereits nach 45 Minuten überraschend im Geschäft aufzutauchen, um so zu verhindern, daß gewissenlose Monteure es erst kurz vor seinem erwarteten Auftritt in Betrieb nähmen, womit der Test jede Beweiskraft verliere, da die reparaturwürdige Trübung ja bekanntlich erst nach 30 Minuten - s.o.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt