Inhalt der Printausgabe
März 2001
Hans & Franz Ein deutsches Dilemma |
Am Abend des 24. Januar 1947 bringt der Gummersbacher Schlafwagenschaffner Adolf Dampf seine Frau Maria in die Klinik. Die Schwangerschaft ist problemlos verlaufen, und die Dampfs freuen sich auf ihr erstes Kind. Ein Junge soll es werden, wenn es nach Herrn Dampf geht. Frau Dampf wünscht sich ein Mädchen; oder wenigstens einen Pudel. Um Viertel vor neun wird Frau Dampf in den Kreißsaal geschoben; Herr Dampf bleibt draußen und fängt sofort an zu rauchen, obwohl er eigentlich Nichtraucher ist. Die Neonleuchte ist kaputt, das Licht flackert: an, aus, hell, dunkel. Wird schon gutgehen, denkt Herr Dampf. Wird schon alles gutgehen. Um genau 23.14 Uhr wird Herr Dampf Vater, und zwar der berühmteste Vater der Nachkriegszeit. Seine Zwillinge, die später die Namen Hans und Franz kriegen werden, teilen sich einen Körper. Der Arzt erzählt ihm irgendwas von "Siamesischen Zwillingen", Zwillingen, die sich im Mutterleib nicht regulär getrennt hätten, Zwillingen mit zwei Köpfen - aber nur einem Körper. Trennung unmöglich. Wie in der Geisterbahn, denkt Herr Dampf, also in der siamesischen jedenfalls. Aber die Dampfs sind gläubige Leute. Als der erste Schock vorbei ist, nehmen sie ihre Jungs so, wie sie sind. Der Herrgott wird sich schon irgendwas dabei gedacht haben. Hans und Franz entwickeln sich prächtig. Hans ist der Stille, der Nachdenkliche, Franz ein richtiger Racker, der am liebsten auf heiße Herdplatten faßt und Baumhäuser sprengt. In der Schule gewöhnen sich die anderen Kinder schnell daran, daß Hans und Franz zwar zwei Noten in Mathe bekommen, aber nur eine in Sport. Nach Schulschluß wird es schon hin und wieder kompliziert, wenn Hans seinen Deutschaufsatz schreiben will ("Der Starke ist am mächtigsten allein"), Franz aber viel mehr Lust hat, dem Nachbarn Kanonenschläge in den Briefkasten zu werfen oder das Rathaus anzuzünden. Dann kommt die Pubertät, und es wird immer deutlicher, wie grundverschieden die beiden sind. Franz spielt begeistert Fußball und kloppt sich mit Schieds- und Linienrichtern, Zuschauern, Trainer, Platzwart und Eisverkäufer gleichzeitig, Hans lernt dabei Vokabeln und kriegt die Hälfte der Prügel ab. Franz schwängert seine Lateinlehrerin, Hans findet Sex während des Unterrichts degoutant. Beim Abitur schreibt Franz bei Hans ab, dafür darf Hans bei Franz immer mittrinken, ob er nun will oder nicht. 1966 schreiben sich beide an der Freien Universität Berlin ein: Hans für Jura, Volkswirtschaft und Bausparen, Franz wählt angewandten Marxismus, Demagogie und freie Liebe. Spätestens jetzt führen Hans und Franz disparate Leben, jedenfalls von der Schulter aufwärts. Die Dampf-Brüder nehmen sich eine kleine Wohnung in der Blücherstraße. Franz erklärt seine Hälfte für besetzt und zur Zentrale der antiimperialistischen Aktion Kreuzberg, Hans holt sofort die Polizei. Die Beamten sehen die wunderlichste Wohnung Westberlins: In der instandbesetzten Osthälfte verdecken Che Guevara-Poster die Löcher in den Wänden, im kernsanierten Westteil werden eichenfunierte Schrankwände von Reader's Digest-Bänden und Bierkrügen beherrscht; wo es hie nach Meister Propper und Fanta riecht, stinkt es da nach Hasch, Fäkalien und nassem Flokati. Als Franz Handschellen angelegt werden, erstattet Hans Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Nötigung, aber das ohrenbetäubende Durcheinander aus Peter Alexander und Jimi Hendrix läßt die "lieben Freunde und Helfer" (Hans) bzw. die "verfickten Büttel des faschistischen Schweinesystems" (Franz) von einer Verfolgung der Angelegenheit schnell absehen. Am 2. Juni 1967 returniert der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration eine Polizeikugel mit dem Hinterkopf. Es kommt zu Massendemonstrationen, Franz tritt dem SDS bei, Hans holt sich ein Autogramm von Axel Springer und gründet den Franz Josef Strauß-Fanclub Kreuzberg. Die nächsten Monate und Jahre gibt es praktisch ständig Stunk: Hans stört die trotzkistischen Grundsatzreferate seines Bruders durch Absingen der Nationalhymne, Franz sabotiert Hansens Fanclubversammlungen durch Stinkbombenwerfen und "CSU - SA, SS!"-Geschrei. Als sie einmal versuchen, sich gegenseitig in den Sack zu treten, fallen sie beide auf denselben Arsch. Irgendwie müssen sie sich jetzt arrangieren, Mao hin, Kiesinger her. Hans hat nichts gegen Molotowcocktails, solange Franz Apfelwein hineintut und sie nicht anzündet. Franz hält auf dem Schlesiertreffen den Mund, dafür bleibt zuhause die Klotür ausgehängt. Und wenn Hans partout Löwenthal sehen will, darf Franz vor die Tür, Schnee schippen. So geht das jahrein und jahraus. Erst nach dem Stammheim-Desaster von 1977 bricht der Konflikt wieder auf: Franz versucht, sich in der heimischen Naßzelle zu erhängen, Hans schneidet ihn ab. Nach dem 20. Versuch ist das Seil alle, Franz nimmt Rattengift, Hans speit alles wieder aus. Als irgendwann das Gift ausgeht, tritt Franz in den Hungerstreik. Hans frißt für zwei. Als Franz aufgibt, ist der Deutsche Herbst zu Ende, und die beiden Dampfs sind erwachsen. Montag, Mittwoch und Freitag gehen sie in die Bank, in der Hans schnell Karriere macht, den Rest der Woche arbeiten sie in Franzens revolutionärer Gebrauchtbücherhandlung. Anfang der Achtziger schleppt Franz seinen Bruder noch mal mit nach Brokdorf und Mutlangen, wird von Hans aber sofort niedergeknüppelt. So macht das alles keinen Spaß. Anfang 1992 wird Hans das Bundesverdienstkreuz verliehen, Franz gepfändet. Mit Unterstützung seines Bruders eröffnet er ein Sportartikelfachgeschäft mit Videoabteilung und Käsetheke und hat bald ein halbes Dutzend Filialen. Heute geht es beiden gut. Zweimal im Jahr fliegen sie nach Sansibar, haben ein Haus im Tessin und trinken nur Rotwein, der mindestens 700 Jahre alt ist. Sie finden dieselben Witze geil, lachen über die gleichen Weiber und fangen bei Verdi an zu weinen. Manchmal reden sie noch von früher. Hans gibt sich jovial und hat sich nichts vorzuwerfen, und Franz versucht ihm zu erklären, warum er, der Mao-Franz, damals so war, wie er war. Aber das ist alles so lange her, das ist ja schon fast nicht mehr wahr. Bzw. nur noch das zahnlose Geraune alter Zausel. Gärtner/Nagel/Rürup
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