Inhalt der Printausgabe

August 2001


Humorkritik
(Seite 7 von 7)

Handwerk Humor

1994 war's, da erschien in Los Angeles das Buch "The Comic Toolbox" von John Vorhaus, eine Anleitung zum komischen Schreiben, und weil die Amis uns irgendeinem Gesetz zufolge immer um ein paar Jahre voraus sein müssen, hat Zweitausendeins erst jetzt die deutsche Ausgabe auf den Markt gebracht ("Handwerk Humor"). Man kann allerlei lernen auf den rund 300 Seiten, vor allem, warum so viele US-amerikanische Sitcoms und Filmkomödien so unendlich langweilig und quälend unkomisch sind.
Vorhaus überträgt den amerikanischen Mythos, jeder könne es bis ganz oben schaffen, sofern er nur wirklich will und gewisse Gesetzmäßigkeiten strikt einhält, bruchlos auf die Komik: "Jeder hat Talent. Es ist uns einfach in die Wiege gelegt... Aber Talent ist nur ein Element der Gleichung. Um Ihr Talent in Erfolg zu verwandeln, braucht es auch noch harte Arbeit, Übung, Geduld, Ausdauer und unermüdliche Zielstrebigkeit - summa summarum: Drive."
Das stimmt nun eben nicht. Mit blinder Schufterei wird man vielleicht Vorstandsvorsitzender eines internationalen Automobilkonzerns oder wenigstens US-Präsident, aber noch lange kein guter Komiker. Dem können zwar ein paar Sekundärtugenden auch nicht schaden, und daß er sein Handwerkszeug beherrschen muß, ist selbstverständlich, aber zuvörderst braucht er etwas, das eben nicht jedem gleichermaßen in die Wiege gelegt ist, als da wären: eine gesunde Portion Distanz zu sich und der Welt, ein gerüttelt Maß an Eigensinn sowie ein Scheffel von jener schöpferischen Kraft, die sich nicht aus Creative-Writing-Workshops beziehen läßt und erst recht nicht aus einer Rezeptfibel, die nach dem Prinzip "Von der Backpfeife zum Superkomiker in zehn Wochen" aufgebaut ist. Welche kleinen Helfer obendrein von Nutzen sind, muß jeder selbst herausfinden. Selbst ein veritables Genie wie sagenwirmal Robert Crumb ließ sich von geeignetem Stoff und entsprechender Musik unterstützen, um ersinnen und zeichnen zu können, was keines Menschen Auge je zuvor erblickt hatte, zum Beispiel Kater, die Krähen beiwohnen, Yetis, die mit Menschen mauseln, oder aber auch Autos, die mit Autos rammeln - mit einem Wort: Weltklassekomik.
Vorhaus hingegen scheint jedes Gespür dafür abzugehen, daß Komik wie auch immer eigenwillig, innovativ, riskant, abwegig, verstörend oder womöglich gar subversiv sein könnte. Statt dessen: "Jedes Mal, wenn Sie jemanden zum Lachen bringen, verbreiten Sie Freude im Universum und machen Ihre Welt im Kleinen ein bißchen besser." Ich konnte den Satz nicht ohne ein leichtes Würgen im Hals lesen, und nun, da ich ihn abschreibe, packt's mich schon wieder. Was für ein widerwärtiges Gesülze!
Die meisten Beispiele rekrutiert Vorhaus entsprechend aus der sterilisierten Familienhumoristik: "Tootsie" und "Alf", "Kevin allein zu Haus" und "Mein Partner mit der kalten Schnauze". Er lehrt zwar, daß sich die Lacher aus der Überraschung des Zuschauers ergeben, aber auch, daß der auf die immer gleiche Weise überrascht werden will: "Da sich der Mensch im Innersten nach Ordnung sehnt, verschwendet das Publikum keine Zeit damit, sich seine eigene Version Ihrer Welt zurechtzubasteln. Es erfaßt die Regeln intuitiv und fühlt sich unterbewußt vergewaltigt, wenn diese Regeln gebrochen werden." Überflüssig, darauf zu beharren, daß große Komik gerade darauf aus ist, Regeln zu brechen, denn Vorhaus geht es nicht um große Komik, sondern um den kleinen, kläglichen Schund, der seit Jahr und Tag alle Kanäle verstopft: "Das natürliche Ende einer Geschichte ist ein Happy End… Ich möchte Sie warnen, daß niemand zufrieden sein wird, wenn Sie eine echte komische Geschichte ohne echtes Happy End schreiben."
Da bin auch ich am Ende, freilich unhappy, und lese zur Erholung und Aufmunterung mal wieder den Schluß von Wenedikt Jerofejews "Die Reise nach Petuschki", das Unhappiest End der Komikgeschichte, und danach Horkheimer/Adornos "Dialektik der Aufklärung", genauer: das Kapitel über Kulturindustrie, noch genauer: die Passage, in der die "Reproduktion des Immergleichen" aber sowas von gegeißelt wird. Denn die hellgeistigen Theoretiker von gestern stehen mir halt immer noch um Meilen näher als die dumpfbackigen Praktiker von heute.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt