Inhalt der Printausgabe

August 2001


Humorkritik
(Seite 4 von 7)

Der letzte Mensch

Max Picard widmete sich einer Analyse des modernen Menschen sowie der kulturphilosophischen Deutung der menschlichen Situation inmitten des Chaos einer gottfernen Welt. Wegweisende Bedeutung in der Existenznot unserer Zeit gewannen seine Werke "Hitler in uns selbst" (1945) und "Die Welt des Schweigens" (1948). Die ungewöhnlichen Meditationen Picards fordern den ungewöhnlichen Leser. Wer sich auf sie einläßt, folgt einem Ruf aus der Stille, wechselt von der tristen Leere lärmerfüllter Betriebsamkeit in die Welt des Schweigens, wo Wort und Gedanke sich zur Kraft des Ursprünglichen versammeln und jeglich Ding seine Einfachheit gewinnt. In Max Picard ist uns ein Seher auferstanden, der uns sagt: Erst dann, wenn wir uns dem babylonischen Geschrei des modernen Kulturbetriebs und seinen öden Verheißungen entzogen haben, erreicht uns der Zuspruch des Schweigens, dessen eine Zeit kurzlebiger Sensationen und universaler Katastrophen so dringend bedarf. Picards Botschaft lehrt uns, daß das Rätsel alles Großen und Bleibenden vom Schweigen verwahrt wird.
Mancher Leser mag das jetzt vielleicht nicht zum Lachen finden, was ich da aus dem Klappentext eines Taschenbuches zitiere, das 1959 in der "Fischer Bücherei" mit der Nummer 302 erschienen ist. Max Picard, geboren 1888 in Schopfheim in Baden, war eigentlich Mediziner, betätigte sich aber eben auch als Denker. 1921 schon erschien sein erstes Buch mit dem Titel "Der letzte Mensch". Dieses schmeichelte sich mir neulich aus einem Antiquariatsregal in die Hand, und als ich die Seite 19 aufschlug, las ich: "Sieh jene Nase: sie weiß auch nicht mehr, wie sie ihr Ende erreichen soll. Es ist, als ob sie wie ein Schüler bei einer andern Nase absähe, wie es weitergeht. Man sieht die Stelle noch, wo sie nicht mehr gewußt hat, wie es weitergeht, sie zittert immer noch, weil sie es hier nicht gewußt hat." Hmmm! Die Nase zittert, weil sie ihre Spitze nicht erreichen kann? Nein, denn "dann geht es plötzlich weiter: so regelmäßig, so genau, so nur irgend einer andern Nase folgend geht plötzlich die Nase weiter, als ob sie gar nichts anderes wolle denn dieses: die Nase, bei der sie abgesehen hat, wie es weitergeht, richtig wiederholen. Es ist ihr gar nicht wichtig, Nase zu sein; sie will nur richtig wiederholen." Aha! Wer würde dies alles aus einer simplen Nase herauspopeln? Und fragen: "Warum geht die Nase überhaupt noch weiter? Warum bricht die Nase nicht einfach da ab, wo sie nicht mehr weiter weiß? Warum biegt die Nase dann, wenn sie nicht mehr weiter weiß, nicht einfach in den Mund hinein?"
Die Frage machte mir einen merkwürdigen Eindruck. Ich kaufte das Buch, ging zurück zu seinem Anfang und las es bis zum Ende. Und, was soll ich sagen: Ich bereue es nicht.




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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg