Inhalt der Printausgabe

Dezember 2000


TITANIC testet die Post:
Von Menschen und Marken
(Seite 3 von 7)


1. Tag, 16.23 Uhr, Team 1,
Frankfurt-Nordweststadt, Roßkopfstraße


Es ist schon fast dunkel, als die Scheinwerfer des TITANIC-Dienstwagens über den nassen Asphalt der Frankfurter Nordweststadt gleiten. Hier, wo sich Einfamilienhäuser und Plattenbauten schon vor der "Tagesschau" Gute Nacht sagen, beginnen Gärtner und Nagel ihre Schicht. Als routinierte Marktforscher wissen sie, daß von der überlegten Auswahl der Umfrageobjekte viel, wo nicht alles abhängt. Deswegen klingelt man zuerst bei Familie T. Frau T., in Kittelschürze, öffnet. "Guten Abend! Wir sind von der Oberpostdirektion Frankfurt, Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit und Postmoderne. Sie haben bestimmt schon gehört, daß die Post bald an die Börse geht. Wir sind gerade dabei, ein Sympathieprofil zu erstellen und machen eine Umfrage. Haben Sie zwei Minuten Zeit?" Da Gärtner und Nagel seriös und vertrauenerweckend aussehen und ihre Dienstausweise, die sie als "PostServiceManager Wubbo Ockels" bzw. "PostServiceManager Andreas Wobser" identifizieren, gut sichtbar am Revers baumeln, werden sie gar nicht mal unfreundlich empfangen: "Kommen Sie doch bitte herein!" Herr T., den seine Gattin dem Comment entsprechend vorschickt, stiefelt umgehend herbei. Der alerte Graukopf ist siebzig, macht trotzdem noch irgendwas mit Computern, und die italienische Post hat mal eine Diskette von ihm verschlampt. Ein bewegtes Leben. Entsprechend weltläufig und souverän weiß er mit dem Fragebogen umzugehen: Er sieht "einmal täglich" nach der Post, bekommt statt "Kündigungen", "Drohungen (anonym)" oder "Urlaubspostkarten" am liebsten "ganz normale Briefe", und zwar lieber aus Darmstadt als aus Passau, Sibirien oder Flensburg; was das Aussehen seines Wunschbriefträgers anlangt, ist ihm "adrett und seriös" deutlich angenehmer als "ordinär und ungewaschen" oder sogar "90/60/90"; an zusätzlichen Dienstleistungen des Briefträgers wie "Müll raustragen" oder "zweimal klingeln" ist er nicht interessiert. Den E-Mail-Kasten hätte er gerne monatlich geleert, und als Post-Maskottchen wünscht er sich ein (im Fragebogen gar nicht vorgesehenes) Känguruh.
Mit einem Kunden wie Herrn T. kann die Post zufrieden sein: Zwar reagiert er beim Assoziationstest - "Woran müssen Sie sofort denken, wenn Sie das Wort ›Post‹ hören?" - nicht ganz adäquat: "An UPS!", dafür findet er den Service im Postamt "ganz gut" und scheint auch sonst noch alle Zacken an der Marke zu haben. Beschwingt setzt Team 1 seine Runde fort. Mit solch verläßlichen Partnern kann die Post auch in Zukunft prima Geschäfte machen!
Ob das um die Ecke bei Familie Rülps (Name marginal geändert) auch so ist, darf allerdings bezweifelt werden. Herr Rülps ist 1,60 m groß (bergrunter), so ordinär wie ungewaschen, und seine Gattin wiegt 200 Kilo gegen den Wind. "Guten Tag! Wir erstellen im Zuge des Börsengangs der Deutschen Post ein Sympathieprofil! Haben Sie fünf Minuten Zeit?" Herr Rülps fackelt nicht lange: "Dann gehe Sie abbä heulend hier raus, bei meinä Sympathie für die Post! Isch hol schon mal e paar Taschetüschä!"
Trotzdem lotst der fanatische Hesse die Herren in Gelb schwungvoll in das, was er wahrscheinlich für ein 1a Arbeitszimmer hält; ein Laptop brummt gelangweilt vor sich hin, eine Tochter verrichtet Hausaufgaben. Herr Rülps schmeißt beide kurzerhand hinaus und stürzt sich mit seiner Frau auf den Fragebogen. "Geschlescht? Waas isch net!" Ein hervorragender Witz! Das fängt ja gut an. "Wie oft isch nach dä Post guck? Einmal stündlisch!" Unvermittelt bricht Herr Rülps in irres Gelächter aus. "Die wolle ein wohl väarsche!" I wo. Frau Rülps entschärft die Situation gekonnt und beantwortet direkt die nächste Frage: "Drohunge bekomm isch gern! Un Urlaubspostkäddscher un Liebesbrief'! Un ganz normale Brief' sowieso!" Wenigstens Frau Rülps ist eine Postkundin, wie sie sein soll: Sie freut sich über alles, was im Briefkasten liegt, und liegt einmal nichts drin, geht sie einfach an den Kühlschrank. Post Mahlzeit!

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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Boah ey, Natur!

»Mit der Anpflanzung von Bäumen im großen Stil soll das Klima geschützt werden«, schreibt der Spiegel. »Jetzt zeigen drei Wissenschaftlerinnen in einer Studie: Die Projekte können unter Umständen mehr schaden als nützen.« Konkret sei das Ökosystem Savanne von der Aufforstung bedroht. Mal ganz unverblümt gefragt: Kann es sein, liebe Natur, dass man es Dir einfach nicht recht machen kann? Wir Menschen bemühen uns hier wirklich um Dich, Du Diva, und am Ende ist es doch wieder falsch!

Wird mit Dir einfach nicht grün: Titanic

 Apropos: ¡Hola bzw. holla, spanischer Priester!

Du hast Dir die Worte aus dem Matthäusevangelium »Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach« zu sehr zu Herzen genommen und in Deiner Gemeinde in der Kleinstadt Don Benito einen regen Handel mit Potenzmitteln betrieben. Für diesen nach weltlichem Ermessen offensichtlichen Sündenfall musst Du Dich nun vor einem irdischen Gericht verantworten.

Uns ist zwar nicht bekannt, ob Du Dich gegenüber Polizei und Justiz bereits bußfertig gegeben hast oder weiterhin auf das Beichtgeheimnis berufst. Angesichts der laut Zeugenaussagen freudigen Erregung Deiner überalterten Gemeindemitglieder beim Geläut der Glocken sowie ihres Durchhaltevermögens bei den nicht enden wollenden Eucharistiefeiern inklusive Rumgeorgel, Stoßgebeten und orgiastischer Gottesanrufungen sprechen alle Indizien aber ohnehin gegen Dich!

Bleibt auch ganz ohne künstliche Stimulanzien weiter standfest im Nichtglauben: Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick