Inhalt der Printausgabe

Heinz Strunk
Intimschatulle 41

»Entschuldigung, ich bin Christ«

1.7. Bald ist es soweit, und es geht ab in die ersehnte Sommerfrische (Urlaub). Heuer habe ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht: Erholung UND Erbauung. Ein Road-Trip, eine moderne Pilgerfahrt, ein automobiler Jakobsweg, der mich zu sämtlichen Autobahnkirchen bzw. Autobahnkapellen Deutschlands führen wird. Als gläubiger Autofahrer und christlicher Autor schwebt mir das schon länger vor, Jahr um Jahr habe ich es verschoben, doch nun und solange ich gesundheitlich noch dazu in der Lage bin, gehe ich es endlich an! Als ich in meinem evangelischen Hauskreis darüber berichtete, stieß ich auf nur wenig Ablehnung (Schadstoffausstoß), aber viel Begeisterung. In ein paar Tagen schon sollen Nägel mit Köpfen gemacht werden! Gemütslage: aufgeregt, konzentriert, nachdenklich.

2.7. Ein christlicher Buchautor, ein christlicher Künstler, ja, das bin ich fürwahr. Manchmal scheint es mir, als steckte in jedem Buchstaben, den ich zu Papier bringe, die gesamte Bibel.

3.7. In den Psalmen gelesen. Heiteres, aber auch zum Denken Verleitendes. Die vielen Kriege, die überall auf der Welt toben. Dereinst wird man in den Museen Raketen ausgestellt sehen, wie jetzt die alten Folterwerkzeuge, und wird darüber staunen, dass derlei einmal ernsthaft die Welt bedroht hat.

4.7. Reisevorbereitungen. Kulturtasche – check! Wechselwäsche – check! Schlafanzug – check! Usw. Habe auch jede Menge »musikalische Nervennahrung« dabei, z.B. CDs von Michael Hirte: »Tonangebend« und »Nackt vor Gott«.

5.7. Es geht los! Meine Akkus (leider auch die Glaubensakkus) sind leer wie eine Autobatterie nach zwei Jahren Standzeit. Mein Weg führt mich zunächst auf der A7 in die Autobahnkirchen Dammer Berge (ökumenische Autobahnkapelle), Roxel (Autobahnkapelle) und Wittich (evang. Autobahnkirche). Herrliches Wetter. »Schiebe« viele Pausen ein (endlich mal keine Terminhetze). Notiere immer wieder Zeilen für mein nächstes (Sach-)Buch-Projekt. Arbeitstitel: »Entschuldigung, ich bin Christ« (eine Art Fortschreibung des Klassikers »Pardon, ich bin Christ«).

6.7. Deutschland ist schön! Erkenntnis 1: Niemals konnte Noah die Welt so gut sehen wie von der Arche aus, obgleich sie geschlossen und es auf Erden dunkel war. Erkenntnis 2: Ich bin nur mir selber gut, wenn ich tue, was ich soll. (Diderot, Lettres, 8.10.1760)

7.7. Immer wieder kindliches Erstaunen darüber, dass jemand, mit dem ich in der Eisenbahn gesessen habe, aussteigt und ich ihn nie wiedersehen werde. Ähnlich ist es auch mit den anderen Betenden in den AKs (Autobahnkapellen).

8.7. Karriereschatulle: 1) Bei mir gehen Kopf und Füße Hand in Hand. 2) Wenn dich jemand missachtet, dann störe ihn bitte nicht dabei. 3) Das Leben ist ganz einfach. Bist du glücklich? Dann mach alles weiter so wie bisher. Bist du unglücklich? Dann ändere etwas (Gott).

9.7. Slogans zur freien Verfügung (bitte zugreifen). Wenn Sie zufällig Kreuz (z.B. Markus Kreuz) heißen und eine christliche Buchhandlung betreiben: BUCHHANDLUNG KREUZ – BÜCHER IM ZEICHEN DES KREUZES.

10.7. Auf der A4 unterwegs. Stationen: Uhyst am Taucher (schmuddelige Sanitäranlage), Gelmeroda, Schwabhausen (Bänke angekokelt), Wilsdruff (Gesamteindruck gut, aber leider nicht barrierefrei). Bereits im Mittelalter wurden dem Wanderer, Pilger und Reisenden Andachtsmöglichkeiten in Form von Kapellen und Kreuzen am Wegesrand angeboten. Sie dienten als Orte des Schutzgebetes und der Besinnung und erinnerten die Menschen daran, sich auch reisend immer wieder auf Gott zu besinnen. Dasselbe tun die Autobahnkirchen heute. Sie laden ein, zur Ruhe zu kommen, sich zu erholen und zu besinnen. Sie sind ein Gegenpol zum Leben auf der Überholspur, hier kann man zu Gott und zu sich selber finden.

11.7. Gedanke: Geschwindigkeitsbegrenzungen sind sinnvoll, Begrenzungen des Glaubens nicht. Steige spontan am Parkplatz Wolfsgrund aus, um einen Rosenkranz zu beten.

12.7. Ich gebe zu, dass mir Autofahren echtes Vergnügen bereitet. Bin eben doch ein Petrol Head, in meinen Adern fließt Benzin.

13.7. Weiter auf der A7: AK Kirchheim/Hessen (Gebetsraum riecht nach Essen), AK Holle, OT Gradorf, AK Gramschatzer Wald (verwahrloster Vorplatz). Rund eine Million Menschen besuchen jedes Jahr eine Autobahnkirche. Sie schätzen vor allem die Ruhe und die Anonymität. Viele von ihnen nutzen das bereitliegende Anliegenbuch, um ihre Gedanken festzuhalten, andere zünden eine Kerze an und geben eine Spende. Wer in Autobahnkirchen Rast gemacht hat, der fährt danach gelassener, rücksichtsvoller und sicherer. Der Besuch einer Autobahnkirche ist damit auch ein Beitrag zur Verkehrssicherheit.

14.7. Schlagzeilen, die nachdenklich machen: 1) BEINE ZU KURZ – KEIN FÜHRERSCHEIN 2) BULGARIEN: GERICHTSVOLLZIEHER PFÄNDEN ÜBER 1000 KINDER
3) UNSER BABY HAT DEN PAPST GEBISSEN.

15.7. Barmherzigkeit ist nicht Liebe, sie bedarf nicht der Erwiderung, urteilt nicht. Sie ist nur barmherzig, bedingungslos, für einen Augenblick, auch wenn der, gegen den sie barmherzig ist, dessen nicht würdig ist. Komme in der AK Brehna mit dem pensionierten Pastor Hauke ins Gespräch. Sehr gewinnender Mann, seit kurzem verwitwet. Erzählt, dass er zweimal im Jahr zum Schnorcheln auf die Kanarischen Inseln reist. Ein Mann in den späten Siebzigern beim Schnorcheln (klingt wie röcheln). Irgendwie peinlich, auch unappetitlich.

16.7. Fahrtgedanken: Wie soll man seine Tage verbringen? Im Gleichmaß, wie der Bach vorm Fenster dahinfließt? Oder soll man Aufregungen, Abwechslungen, Erschütterungen gerade nicht aus dem Wege gehen?

17.7. A6 AK Waidhaus (Gebetsraum vermüllt). Gedanken: Spurwechsel zu Gott/Ausfahrt zur Einkehr/Auch bei Tempo 180 fährt jetzt Jesus bei dir mit, er gibt dir Mut und Kraft auf deinem Höllenritt. Weiter zur AK Kochertalbrücke (frisch renoviert, ohne sichtbare Mängel). Schaue mich während des Gebets mehrmals um. Eine diffuse Angst wallt auf, überfallen und beraubt zu werden. Wäre ich Verbrecher, würde ich mir meine Opfer in Autobahnkirchen suchen. Arglos ins Gebet vertieft, schlaff, leichte Beute. Statt Gegenwehr zu leisten, segnen sie ihre Peiniger. Muss aufpassen, dass ich mich da nicht reinsteigere.

18.7. Steige im Motel Hösel Ost ab. Abends Lektüre von Kafkas Tagebüchern: »Sehe ich eine Wurst, beiße ich in meiner Einbildung mit ganzem Gebiss hinein und schlucke rasch, regelmäßig und rücksichtslos, wie eine Maschine. Die langen Schwarten von Rippenfleisch stoße ich ungebissen in den Mund und ziehe sie dann von hinten, den Magen und die Därme durchreißend, wieder heraus. Fülle mich mit Heringen, Gurken und allen schlechten alten scharfen Speisen an. Bonbons werden aus ihren Blechtöpfen wie Hagel in mich geschüttet.« Traurig. War Kafka Christ?

19.7. Tolles Angebot: Wenn man eine SMS an die 01636633777 schickt, erhält man Minuten später einen Reisesegen aufs Handy. »Den Weg des Friedens führe uns der allmächtige und barmherzige Herr. Sein Engel geleite uns auf dem Weg, dass wir wohlbehalten heimkehren.« 1a Service.

20.7. Was die Jungs von Willis Schwenk-Grill wohl gerade machen?

21.7. Auf der A9 über AK Himmelkron (dunkel, verwohnt), AK Meienburg, bis AK Trockau (sanitäre Anlagen außer Betrieb).

22.7. Dialog mit Gott am Steuer, er hört mir überall zu. Fast 1000 Kilometer gemacht, nachts schlafe ich wie ein Stein.

23.7. Meldung, dass die Schwedische Jugendpartei Sex mit Leichen und Geschwistern (Nekrophilie und Inzest) erlauben will. Man soll seinen Körper für Geschlechtsverkehr vermachen dürfen. Das ist nun die Welt, in der wir leben.

24.7. Denke heute viel an E. Er ließ sich bereits als Siebzehnjähriger »auf dem Totenbett« zeichnen. Zeitlebens über Selbstmord nachgedacht. Ausführung dann im einundvierzigsten Lebensjahr. Vorher hat er noch geliehene Bücher zurückgegeben.

25.7. Weiter auf der A57 in die AK Geismühle (schon etwas in die Jahre gekommen), dann zur AK Nievenheim (leider wieder nicht barrierefrei). Von dort aus Abstecher ins benachbarte Dormagen, um in der Johanneskirche die Predigt von Generalvikar Karsten Dollinger zu hören. Glaubensbekenntnis, Abendmahl, tut gut, einmal nicht alleine zu beten. Übernachtung in F. Man sagt mir, Napoleon habe hier auch geschlafen. Wo hat er nicht geschlafen? »Und hier hat Napoleon geschlafen« ist ein Satz, den ich auf meinen Reisen hundertmal gehört habe.

26.7. Immer wieder Rowdys, die, anstatt sich ordnungsgemäß einzufädeln, an der Schlange vorüberrasen und dann vorn rein. Ich verabscheue Leute, die sich nicht an die Spielregeln halten. Die bürgerlichen Tugenden werden verhöhnt und abgeschafft. Gottlob werde ich demnächst überhaupt nicht mehr am Verkehr teilnehmen. Ich entziehe mich der Welt.

27.7. Ein neuer Tag on the road, geprägt von melancholischen Reminiszenzen: Erinnerung an die Zeit, als ich noch ein kleiner Bub war. Ich wünschte mir so sehr ein Geschwisterchen. Deshalb habe ich Zuckerstücke aufs Fensterbrett gelegt, um den Klapperstorch anzulocken. Der Regen hat sie weggespült. Auch für einen Christen gibt’s Hochs und Tiefs, Sonnenschein und Regen.

28.7. Übernachtung in K. Kleine, ja winzige Fußgängerzone. Im Bekleidungsgeschäft Manyclothes einen Satz frischer Unterwäsche erstanden, danach Abendessen im Restaurant Diverso. Gebackener Camembert mit Preiselbeeren, dazu eine Flasche (alkoholfreien) Rosé.

29.7. A61 AK Waldlaubersheim. Trotz des verwahrlosten Eindrucks, den die Anlage macht, fühle ich mich wohl. Je öfter und länger ich bete, desto mehr komme ich mit Gott »ins Gespräch«. Bemerke (oder täusche ich mich?), wie viele christliche Autofahrer unterwegs sind. Wohin pilgern sie?

30.7. Zwischenstopp in T. Das örtliche Frisiergeschäft »Salon Erich« bietet neben dem Standardprogramm (Fasson, Dauerwelle) auch einen Damen-Nasen-Haarschnitt für 4,50 Euro an. Was es nicht alles gibt! Abendessen im Restaurant Brimborium, im Hotel noch Orangensaft und Weingummi.

31.7. Meine Reise endet in der AK Leutkirch im Allgäu/A96 (Toiletten unbenutzbar). Alles in allem eine wirklich phantastische Erfahrung. Vielleicht führen diese Zeilen dazu, dass sich die Idee »Autobahnpilgern« so durchsetzt wie seinerzeit die Aktion »sieben Wochen ohne«.

Nach Notat im Bett.

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Und übrigens, Weltgeist …

Adam Driver in der Rolle des Enzo Ferrari – das ist mal wieder großes Kino!

Grazie mille von Titanic

 Persönlich, Ex-Bundespräsident Joachim Gauck,

nehmen Sie inzwischen offenbar alles. Über den russischen Präsidenten sagten Sie im Spiegel: »Putin war in den Achtzigerjahren die Stütze meiner Unterdrücker.« Meinen Sie, dass der Ex-KGBler Putin und die DDR es wirklich allein auf Sie abgesehen hatten, exklusiv? In dem Gespräch betonten Sie weiter, dass Sie »diesen Typus« Putin »lesen« könnten: »Ich kann deren Herrschaftstechnik nachts auswendig aufsagen«.

Allerdings hielten Sie sich bei dessen Antrittsbesuch im Schloss Bellevue dann »natürlich« doch an die »diplomatischen Gepflogenheiten«, hätten ihm aber »schon zu verstehen gegeben, was ich von ihm halte«. Das hat Putin wahrscheinlich sehr erschreckt. So richtig Wirkung entfaltet hat es aber nicht, wenn wir das richtig lesen können. Wie wär’s also, Gauck, wenn Sie es jetzt noch mal versuchen würden? Lassen Sie andere Rentner/innen mit dem Spiegel reden, schauen Sie persönlich in Moskau vorbei und quatschen Sie Putin total undiplomatisch unter seinen langen Tisch.

Würden als Dank auf die Gepflogenheit verzichten, Ihr Gerede zu kommentieren:

die Diplomat/innen von der Titanic

 Du, »Deutsche Welle«,

betiteltest einen Beitrag mit den Worten: »Europäer arbeiten immer weniger – muss das sein?« Nun, wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht, ewig und drei Tage überlegt, langjährige Vertraute um Rat gebeten und nach einem durchgearbeiteten Wochenende schließlich die einzig plausible Antwort gefunden. Sie lautet: ja.

Dass Du jetzt bitte nicht zu enttäuscht bist, hoffen die Workaholics auf

Deiner Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Einmal und nie wieder

Kugelfisch wurde falsch zubereitet. Das war definitiv meine letzte Bestellung.

Fabian Lichter

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt