Inhalt der Printausgabe
Sehenswürdigkeiten im User-Test
„Den Friedhof muss man nicht unbedingt gesehen haben.“
Im Sommer zieht es die Menschen nach draußen. Aber wohin soll man sich ziehen lassen? Wo ist es am schönsten? Gut, daß es Google Maps gibt! Denn mit dem Kartendienst läßt sich alles bewerten, auch Parks, Denkmäler und Berge. Zum Beispiel der Brocken: »Geil da oben« – Marcus Nordmann, 5 von 5 Sternen. Ehe Sie das Haus verlassen, sollten Sie deshalb schauen, welche Tips die Community so auf Lager hat. Denn dort gibt es Mutige, die auch unbequeme Wahrheiten in Sachen Ausflug aussprechen und sich nicht dem Urteil der befangenen Mainstream-Medien beugen, die fast alles loben, was ein paar Quadratmeter Wiese und eine Bank vorweisen kann.
Zum Beispiel Google-User Sven Jackwerth, der enthüllt, daß es im Dresdner Alaunpark »viele Menschen«, aber auch »viele Hundehaufen« gibt. Oder Luca Schneider, für den in der Stuttgarter Karlshöhe die Aussicht zwar »toll« ist, das Essen allerdings »sehr schlecht«. Dies sind keine Einzelfälle. Viele Nutzer beklagen sich über mangelhaften Service in unseren Parks, wie ihn Oliver Hummels in der Kasseler Karlsaue erleben mußte, die laut dem staatsgelenkten Hessischen Rundfunk ein »Lebensraum zum Entspannen und Genießen« ist: »Nachdem die bestellten Getränke nach 45 Minuten noch nicht da waren sind wir wieder gegangen.« Das ist ärgerlich und läßt sich dank Google vermeiden. Dennoch wäre eine genauere Erläuterung wünschenswert. Bei wem wurden die Getränke denn bestellt? Beim Parkwart? Und wie genau kommt das schlechte Essen in die Stuttgarter Karlshöhe? Handelt es sich hier um selbst mitgebrachte und schlecht belegte Pausenbrote?
Ausführlicher kritisiert da schon User clay man, der den Großen Garten in Dresden unter die Lupe genommen hat: »Wenn man … vom Hauptweg abweicht wird alles total unübersichtlich«, bemängelt er, »Struktur fehlt völlig. Die Teiche sind willkürlich gesetzt.« Auch fehlten Schranken bei den Bahnübergängen. Das ist gut zu wissen, ehe man seine Slackline versehentlich über eine Fernzugtrasse spannt und ein ICE zwischen den willkürlich gesetzten Teichen dahergedonnert kommt. Nur einen Stern gibt clay man dem Großen Garten, dessen Bauherr Kurfürst Johann Georg III. ob dieser Schmach noch lange im Grabe rotieren dürfte. Doch clay man ist noch nicht fertig mit Dresden. Auch die Semperoper bekommt nur einen Stern sowie die Frauenkirche, dieses angebliche »Meisterwerk europäischer Baukunst« (Dresden.de). Begründung: »Die scheckige Außenwand ist architektonisch richtig schlecht und konzeptionell undurchdacht.« Er, clay man, könne das als »praktizierender Hobbyarchitekt« durchaus beurteilen. Solche Aussagen sind wichtig und erfordern Mut, auch wenn einem die Vorstellung von praktizierenden Hobbyarchitekten zunächst unheimlich erscheinen mag.
Noch schlechter steht es allerdings um den Görlitzer Park. In den Kommentarspalten wird ausgiebig vor der Berliner Grünfläche gewarnt. »Hey Kinder, ... bitte kein Marijuana hier kaufen!!! Es ist sehr verunreinigt mit Blei oder Haarspray«, weiß Johnny Alfred zu berichten, bietet den lieben Kindern aber leider keine Alternative für den Haschkauf an. Dann lieber zur unweit gelegenen Hasenheide, wie Hannes Hanath empfiehlt: »Best place to buy drugs!«, 5 Sterne. Jedoch scheint nicht allein die schlechte Drogenqualität das Problem des »Görli« zu sein, sondern auch seine Besucher. »Schon 20 Meter vor dem Eingang haben uns zig dunkelhäutige Männer blöd angemacht«, klagt Beenthere Donethat.
Und was schreibt dagegen die FAZ über diesen Park? »Nur mit einiger Geduld kann man sich den 14-Hektar-Park auf einer früheren Güterbahnanlage schöngucken.« Die Autorin weigert sich also so lange, der harten Realität ins Auge zu sehen, bis sie schließlich nur noch Schönes in der verwahrlosten Anlage zu erkennen vermag – traurig. Gut, daß Leute wie Petra Pietzofski das schiefe Bild auf Google geraderücken: »Ich find dem ganzen PArk zum kotzen! Haschisch Heroin illegale Abtreibungen, Fischbrötchen.«
Was ist aber, wenn gerade überhaupt kein Park in der Nähe ist? Nun, dann tut es unter Umständen auch ein Friedhof. »Einer der schönsten Friedhöfe der Welt!« lobt der mutmaßliche Friedhof-Globetrotter Michael Denz beispielsweise den Nürnberger St. Johannis, dessen Bewohner sich über die Spitzenwertung von 5 Sternen freuen können. Ebenso viele vergibt Elipsa an die Annenfriedhöfe in Dresden. »Sehr schöner, ruhiger Park«, schreibt sie. »Die Gräber stören nicht weiter.« Breschleng Gsaelz verkündet wiederum auf dem Stuttgarter Pragfriedhof stolz: »Großmutter liegt hier in bester Lage!« Da wird niemand zu widersprechen wagen, schon gar nicht die Frau Großmutter.
Doch ganz ohne Tadel kommt die Google-Gemeinschaft, kritisch wie sie ist, auch bei unseren Totenäckern nicht aus. »Friedhof halt«, watscht User Bertl den Münchener Südfriedhof ab und scheint dort gewisse Special Features und Gadgets zu vermissen. Oliver Grohs berichtet vom St. Nikolai-Friedhof in Hannover: »Den Friedhof muss man nicht unbedingt gesehen haben« (2 Sterne). Vielen Dank für den Hinweis – wir werden unsere Reise stornieren.
Und wie steht es mit unseren Denkmälern und Prestigebauten? Sie sind ebenso Teil des öffentlichen Raumes und sollten keineswegs ungeschoren davonkommen. Denn viele der Sehenswürdigkeiten sind laut Community »ziemlich klein«. Dennoch fällt das Wort »Must see« häufig, sehr häufig sogar, das Brandenburger Tor wird rätselhaft als »Mist see« bezeichnet, die Dresdner Frauenkirche gar als »Must have«. Will hier jemand den berühmten Sakralbau erwerben, um seine unerträglich scheckige Außenwand ein für allemal in Schutt und Asche zu legen?
Beachtliches findet sich abermals in unserer Hauptstadt. Die Weltzeituhr wird mit der dritten Strophe der Nationalhymne besungen, das Gebäude des Reichstags als »Volksverräter!« beschimpft und die U-Bahn-Haltestelle Kottbusser Tor als »Good place to chill« gepriesen. Offenbar läßt es sich dort besser aushalten als im Görlitzer Park, darauf deuten 3,9 zu 3,3 Sterne Gesamtwertung hin. Von wegen »ein dunkler Fleck auf der Berliner Stadtkarte«, lieber Focus!
Die deutsche Google-Gesellschaft findet man auch im Ausland, wo sie gleichfalls ihr unerschöpfliches Wissen zum besten gibt. So zum Beispiel in Paris, der »Hauptstadt Frankreichs«, wie der Spiegel sie nennt. »100 Mal fotografiert oder mehr?« fragt Bernd Korz hintersinnig, meint den Eiffelturm und scheint keine Vorstellung von allzu großen Zahlen zu haben. »Eigentlich super toll«, fügt Jörg Werner hinzu und wendet ein: »aber wo ich dann oben war musste ich kotzen.« Handelt es sich hier um eine besondere Form von Höhenangst? Oder liegt es an der problematischen Bausubstanz, auf die Merhard Enis verweist: »Eigentlich super toll, aber leider ist der Turm aus Metall und darauf bin ich allergisch.«
Natürlich ist all dies nur ein kleiner Auszug des auf Google Maps gebündelten Schwarmwissens. Schauen Sie vor dem nächsten Ausflug doch einfach selbst mal rein! Erfahren Sie so z.B., daß das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg »Einfach ein geiles Gelände!« ist (Manu Bohn) und der Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz »ein Muss für jeden!« (Alberto Galli).
Und falls Sie darüber nachdenken, selbst einen Kommentar zu verfassen, könnten Sie sich an dieser Vorlage orientieren:
»Dem Denkmal ist ein absolutes Must have, die illegalen ABtreibungen stören nicht weiter, das kann ich als praktizierender Hobbygynäkologe gut einschätzen. Leider waren die bestellten Getränke nach 45 Minuten nicht da, trotzdem ein geiles Gelände! Fischbrötchen.«
Leonard Riegel