Inhalt der Printausgabe

Schlammschlachten

Charlotte Roche und die Folgen

Wer hätte gedacht, daß sich ausgerechnet in Deutschland ein Generalangriff auf bewährte Hygienestandards besser verkauft als geschnitten Brot und sauer Bier zusammen? Ende Juni wird, statistisch gesehen, jeder weibliche Deutsche mindestens zwei Exemplare von Charlotte Roches Debütroman »Feuchtgebiete« besitzen und eines davon vielleicht schon flüchtig durchgeblättert haben. Experten befürchten das Schlimmste.

Schmutz total!


Typisch Frauen: Immer fallen sie von einem Extrem ins andere. In den letzten Jahren hatten sie alle Schränke mit Duftsäckchen vollgepfropft, Geschirr und Besteck täglich sterilisiert, die WC-Sitze mit mehreren Schichten Domestos impräg­niert und für extreme Notfälle (Soßenspritzer, Garten­arbeit, Verwandtenbesuch) stets ein Fläschchen Sagrotan-Spray zur Hand. Solche übertriebenen bzw. überlebensnotwendigen Maßnahmen führten jedoch nicht nur zu allergischen Reaktionen, verschiedenen Arten von Krebs und einem blitz­sauberen, urgemütlichen Heim, von dessen Fußboden man bedenkenlos Mozzarellasticks mit Rucola und Kirsch­tomaten essen kann, sondern leider auch zu einer gesellschaftlichen Gegenbewegung. Immer mehr Frauen fragten sich: Warum dürfen sich Männer im Dreck suhlen und wir nicht? Warum ist ­denen immer egal, was »die anderen« denken, wenn ihnen Leberwurst, Bier oder Rotz aufs Hemd kleckert? Was haben sie, was wir nicht haben? Selbstbewußtsein?

Infiziert von der Schmutzpropaganda einer ehemaligen Fernsehmoderatorin haben die Weiber deshalb nun ­beschlossen, restlos zu verlottern. Sie möchten sich nicht länger die Haut mit aggressiven Seifen verätzen oder alle paar Wochen aufwendig die Haare shampoonieren, bloß weil eine männlich dominierte Shampooindustrie das so will. Sie sagen keck: Bye bye, streifenfreie Sauberkeit! Fuck you, porentiefe Reinheit – und zwar forever! Dabei profitieren sie von einem angenehmen Nebeneffekt: Wenn schon mal auf Dusche und Bad verzichtet wird, bilden sich nicht nur dekorative Mit­esser und Pickel, sondern kann auch der ganze Haushalt ­ruhig ein paar Jahre liegenbleiben und zuschimmeln. Und beinahe noch angenehmer: Die Leidtragenden sind ja nur Männer!

Wildwuchs


Der Umgang mit dem Rasierer war in der Damenwelt gerade eben erst zum unverzichtbaren Hypertrend bzw.  absoluten Must geworden. Beeinflußt von Frauenzeitschriften (Brigitte), Castingshows (Heidi Klum) und Spielfilmen (»Nackt und rasiert I-IV«), verließ die moderne Frau von heute das Haus spätestens ab Mitte April nicht mehr ohne sorgfältige Ganzkörperenthaarung. Auf Geheiß von Frau Roche ist damit aber jetzt Schluß; es wurde vielen auch langsam zu teuer mit den Ersatzklingen (z.B. Gillette Venus ­Divine, 4 Stück: 11,99 €!). So sehen wir im Frühjahr unterm Rocksaum also endlich wieder Beine wie von gestern und vorgestern bzw. von Taranteln – und breitet sich unter den Achseln und besonders rund um die sog. »Bikinizone« wieder allerlei Gewöll und Gestrüpp aus. Eine Einladung für Vögel, dort ungehemmt ihre Nester zu bauen, wie Journalisten im ganzen Land fürchten (vor allem Thomas Tuma im Spiegel)? Oder der nötige Befreiungsschlag, mit dem eine junge Generation von Feministinnen bzw. Fernsehmoderatorinnen Auftrieb bekommt? Künftige Top-Entscheiderinnen nämlich, die ihre Stoppelbeine und -bärte aus Karriere­gründen bisher schamhaft verdecken mußten?

Klimakatastrophe


Kenner wissen: An Frauen zu schnuppern hieß bislang, sich in den Aromen unzähliger Deos, Duschgels, Spülungen, Parfüms sowie einer unbestimmten Menge Weichspüler zu verlieren. Clevere Roche-Leserinnen streifen dieses Zwangskorsett jedoch schleunigst ab und riechen, wie die Natur es vorgesehen hat, bald wieder ganz nach sich selbst, d.h. je nach Charakter: Camembert, Fischfabrik, Chanel No. 5. Frauen ­wären aber nicht Frauen, wenn sie nicht auch hier versuchten, der Natur ein wenig nachzuhelfen. Aus Angst, nicht streng genug zu riechen, reiben sich Werberinnen auf Partnersuche in Düssel­dorfer Szenelokalen bereits Parmesan in den Ausschnitt, und in München tupfen sich die Damen der besseren Gesellschaft bei Galadiners gern Ölsardinenöl hinter die Ohren, um die verhaßte Konkurrenz am Nebentisch auszustechen. Am Ende siegt aber, wie immer, die Hauptstädterin, einfach so, ­ohne besondere Vorbereitung. Das macht die Berliner Luft!

Anal-Inferno


Jahrhundertelang machten Frauen aus ihrer Sexualität ein großes Geheimnis, das nur von ausgewiesenen Fachleuten (Vico Torriani, Jürgen Domian, Hugh Hefner) entschlüsselt werden konnte. Nach Charlotte Roches mutigen Bekenntnissen stehen sie nun aber endlich zu ihren Bedürfnissen – vor allem dem nach ihrem heißgeliebten Analverkehr. Vielen Männern schmeckt es zwar ganz und gar nicht, daß die ­altgediente Missionarsstellung in diesem ­Anal-­Inferno zugrundegeht und ausstirbt. Doch allzu laut be­klagen dürfen sie sich nicht, denn Vorreiterin Roche verrät: Zur Not geht’s auch ohne Männer. In puncto Selbstbefriedigung hat sie mit ihrer Publikation nämlich ebenfalls einen Dammbruch erzielt: Frauen dürfen nun in aller Öffentlichkeit Hand an sich legen, egal ob auf dem Wochenmarkt, in der U-Bahn oder im Fernsehen. Wer sich davon gestört fühlt, z.B. ­Thomas Tuma (Spiegel), soll doch woanders hingucken. Oder mitmachen!

Ausscheidungswettkampf


Wegen ihrer erheblich vieldimensionaleren Sexualität können Frauen ohnehin mehr Lust empfinden als Männer, bereits beim Dekorieren der Wohnung z.B. oder bei ausgedehnten Beziehungsgesprächen. In der Ära nach Roche kommt zu diesen Möglichkeiten die eingehende, nicht unbedingt nur diskursive Beschäftigung mit den ­eigenen Ausscheidungen hinzu. Beschaffenheit und Qualität von Popeln, Ohrenschmalz oder Menstruationsblut sorgen für neue Gesprächsthemen beim Frühstück und am Arbeitsplatz und regen zur eingehenden Beschäftigung mit diesen Materialien an – da können die Männer mit ihrem ewigen Furzen und Pinkeln nicht gegen anstinken. Zukunftsforscher prophezeien: Unter jungen Frauen mit gesundem Ehrgeiz kommt es bald zu öffentlichen Wett­kämpfen, z.B. mit gebrauchten Tampons. ­Splatter- und Gore-Filmer (z.B. Al) werden arbeitslos.

Parasitärer Befall


Ob biologische Bestimmung oder Laune der Natur – Frauen schenken ihre Zuneigung seit jeher gerne kleinen Lebewesen (Kindern, Tieren, Blumen) und ziehen daraus viel Selbstbewußtsein. Auf Anregung von Ch. Roche (»der Sau!«, Thomas Tuma, Spiegel) erweitern sie dieses Geschäftsfeld und betütteln nun auch Flechten, Moose, Pilze, Mücken, Schmeißfliegen, Bandwürmer, Bakterien und ­Lebensmittelmotten. Diese werden gefüttert, bespielt, auf dem Arm getragen, gehätschelt, nach Strich und Faden verwöhnt und dürfen sich wie die Schoßhunde früherer Zeiten tummeln, wo immer sie wollen. Vorsicht jedoch: Sodomitische Handlungen an unschuldigen Kleinstlebe­wesen, z.B. Amöben, bedürfen deren schriftlicher Zustimmung!

Und was sagen die Männer dazu?


Natürlich sind die Männer von dieser Entwicklung nicht nur begeistert. Jede Begegnung mit einem weiblichen Wesen wird zur Mutprobe, jedes Rendezvous endet irgendwann wie ein Senfgasangriff im Ersten Weltkrieg. Viele fühlen sich auch bedroht, wenn Frauen in die ureigenen Männerdomänen von Schmutz und Gestank eindringen und auch einmal ihre Muskeln spielen lassen, vor allem die Schließmuskeln. Andererseits: Solange die Frauen sich einen Rest Fürsorglichkeit bewahren und den Männern die Frikadellen zum Abendessen in ihren Achselhöhlen aufwärmen, soll es der Menschheit Schaden nicht sein. ­Sondern ein Glück für die Zukunft des Planeten, auf dem es sich gleichberechtigt – jippie! – letztlich doch viel besser lebt und liebt. Danke, Charlotte Roche, du Schlampe! ­Danke!

Mark-Stefan Tietze

ausgewähltes Heft

Aktuelle Cartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Wie bitte, Extremismusforscher Matthias Quent?

Im Interview mit der Tagesschau vertraten Sie die Meinung, Deutschland habe »viel gelernt im Umgang mit Hanau«. Anlass war der Jahrestag des rassistischen Anschlags dort. Das wüssten wir jetzt aber doch gern genauer: Vertuschung von schrecklichem Polizeiverhalten und institutionellem Rassismus konnte Deutschland doch vorher auch schon ganz gut, oder?

Hat aus Ihren Aussagen leider wenig gelernt: Titanic

 Ach, Taube,

Ach, Taube,

die Du in Indien wegen chinesischer Schriftzeichen auf Deinen Flügeln acht Monate in Polizeigewahrsam verbracht hast: Deine Geschichte ging um die Welt und führte uns vor Augen, wozu die indische Fashion-Polizei fähig ist. Aufgrund Deiner doch sehr klischeehaften Modetattoos (chinesische Schriftzeichen, Flügel) fragen wir uns aber, ob Du das nicht alles inszeniert hast, damit Du nun ganz authentisch eine Träne unter dem Auge oder ein Spinnennetz auf Deinem Ellenbogen (?) tragen kannst!

Hat Dein Motiv durchschaut: Titanic

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Grunz, Pigcasso,

malendes Schwein aus Südafrika! Du warst die erfolgreichste nicht-menschliche Künstlerin der Welt, nun bist Du verendet. Aber tröste Dich: Aus Dir wird neue Kunst entstehen. Oder was glaubst Du, was mit Deinen Borsten geschieht?

Grüße auch an Francis Bacon: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg