Inhalt der Printausgabe
Die Kabarett(chr)isten
Der Osten glaubt an gar nichts mehr. Nur noch fünf Prozent aller Ostdeutschen sind konfessionell gebunden: Hirten ohne Herde, Kirchen ohne Gläubige, rechtsradikale Jugend (und Erwachsene) ohne Gott. Bonifatius, soviel scheint klar, hätte wahrscheinlich sein Bündel geschnürt und wäre in die neuen Bundesländer gegangen. »Bonifatius hätte wahrscheinlich sein Bündel geschnürt und wäre in die neuen Bundesländer gegangen«, hat auch Karl Lehmann, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, erst zu Ostern wieder in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt.
Aber würde man Bonifatius heute überhaupt noch zuhören? Heute, wo alles nur noch auf Fun, Fun und Internet abfährt? Wo jeder immer nur sich selbst der »Nächste« ist? Welche Einschaltquote hätte Gott?
Die Menschen wollen immer nur lachen, dabei sollen sie doch auch mal glauben. Am besten beides gleichzeitig! Daß das prima funktioniert, zeigen z.B. lustige Laienspielgruppen, die das Wort Gottes in heiter-besinnlicher Weise an den Christenmenschen bringen; so wie die Frankfurter »Kabarett(chr)isten«, die als christliche Kabarettgruppe in Frankfurt und Umgebung schon einige schöne Erfolge erzielt haben. Erst am 10.6.1999 schrieb der Bockenheimer Anzeiger: »Daß die jungen Leute mit Spaß und Engagement bei der Sache sind, war ihnen jederzeit anzumerken.« Der Kelsterbacher Gemeindebote sekundierte bereits am 30.6.1999: »Die ›Kabarett(chr)isten‹ folgen nicht den Unsitten vieler gutverdienender Komikerstars, denen nichts mehr heilig und im Grunde alles egal ist, sondern sie verbinden die Frohe Botschaft mit guter Laune. Das Publikum spendete langen, freundlichen Beifall.« Und schließlich fand der Äppler: »Christlicher Glaube und Humor – geht das zusammen? Es geht. Die ›Kabarett(chr)isten‹ zeigen, wie.«
Mindestens genauso gut zusammen gehen auch christliches Kabarett und Borderline-Journalismus, denn die schönen Kritiken sind natürlich frei erfunden und stehen in wenigstens obskuren oder auch gar nicht existenten Zeitungen. Was Bruno Lipke, der Sekretär des evangelischen Regionalkirchentags im thüringischen Erfurt, nicht weiß; wie er auch nicht weiß, daß die Kabarett(chr)isten im Nebenberuf für das Häretikerfachblatt TITANIC arbeiten.
Deshalb begegnet er dem Nachsuchen der Kabarett(chr)isten um Auftrittsgenehmigung beim Kirchentag (26. bis 28. Mai) auch mit einigem Wohlwollen; kein Wunder, denn Bruder Zehrers Antrag ist tadellos formuliert:
Wir sind eine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener, die gemerkt haben, daß es schwierig ist, junge Leute für Jesus zu interessieren. Deshalb haben wir uns gedacht, daß wir zeigen müssen, daß ein Leben mit Jesus Christus vor allem Spaß macht. Deswegen haben wir vor ungefähr zwei Jahren angefangen, lustige Szenen und auch Lieder selbst zu schreiben, die auf heitere, aber auch zum Nachdenken anregende Weise zeigen, was es heißt, Christ zu sein und was damit für ein Gewinn im Leben verbunden ist. Wir machen auch mal kritische Bemerkungen, vergessen dabei aber nie, das mit Humor und einer konstruktiven Aussage zu verbinden. Bisher sind wir nur in Frankfurt aufgetreten, aber weil wir da viel Lob und Zuspruch gefunden haben, wagen wir uns jetzt auch über die Heimat hinaus.
Denn wer wagt, gewinnt. Und wenn es nur neue Jünger Christi sind.
Bereits die Fahrt von Frank- nach Erfurt im InterRegio »Caspar David Friedrich« ist ein Abenteuer für sich. Allerdings nicht für uns, sondern für die armen Seelen, die sich in unser Großraumabteil verirrt haben und jetzt die letzten Proben des so minderbegabten wie hochenthusiastischen Ensembles miterleben können. Monate-, ja stundenlang haben die Kabarett(chr)isten unter der einfühlsamen Leitung von Bruder Zehrer getextet und geprobt, komponiert und einstudiert, zum Lobe des HErrn und seiner (evangelischen) Kirche; Texte voller Wärme und Musik, in denen sich Anmut, Demut und Schwermut mit einer gehörigen Portion Unmut bzw. bitterböser Klerikalkritik ein Stelldichein geben:
Gebnse dem Christ am Klavier noch'n Bier, noch'n Bier.
Sagnse ihm, 's wär von mir, 's wär von mir, 's wär von mir.
Spielen soll er mir dafür, mir dafür, mir dafür
den Psalm Nummer hundertundvier,
dann kriegt er dafür von mir noch ein Bier!
Auch reichen wir anderen Konfessionen die musikalische Hand zum Bunde und bereiten der praktizierten Ökumene auf dem Hamburger Katholikentag schon mal den Weg:
Da steht ein Papst auf dem Flur,
ein echter Papst auf dem Flur,
ja, ja, ein Papst auf dem Flur,
der ist so niedlich!
Da steht ein Papst auf dem Flur,
ein echter Papst auf dem Flur,
ja, ja, ein Papst auf dem Flur,
und fällt gleich um!
Damit auch und gerade die »Kids« ihren Weg zu Jesus finden, haben wir uns auch flotte Weisen aus der Hip, Hop- und Popmusik vorgenommen und sie in unserem Sinne bzw. im Sinne Christi leicht umgetextet:
Sag beim Abschied leise Amen,
nicht adieu und nicht echt geil,
nicht fuck off und nicht Sieg Heil.
Denn das kleine Wörterl Amen
ist stärker als dein Vorurteil!
Kurz vor unserer Ankunft werden noch rasch die letzten Gitarren gestimmt und die ersten Rosenkränze gebetet – dann geht es endlich los! Erfurt empfängt uns mit kleinem (Haupt-)Bahnhof: Bernhard Vogel, Peter Glotz und Lothar Späth haben sich zum Glück nicht eingefunden, dafür aber Christen aus aller Herren Bundesländer (z.B. Thüringen).
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