TITANIC Gold-Artikel

Die Vorratskeller der Schönwetterprepper

"Prepper sind eigenbrötlerische Verschwörungstheoretiker in beigen Funktionswesten, die schwer bewaffnet in ihren Bunkern hocken und sich nur von Büchsenfleisch und Lagerbier ernähren", glauben Umfragen zufolge 52 Prozent der Deutschen. Doch die Szene ist weitaus heterogener. ___STEADY_PAYWALL___

Ihren Wohnort will Dagmar Förster lieber nicht veröffentlicht wissen. Der Weg durch ihren Garten führt vorbei an einer halb verrosteten Schubkarre, einem kaputten Wasserschlauch und alten Autoreifen, die sich auf dem Rasen türmen. Was aussieht wie ein verwahrlostes Grundstück, hat sie penibel drapiert. Damit niemand etwas ahnt. Durch eine morsche Tür gelangen wir in einen fensterlosen Schuppen. In der etwa sechs Quadratmeter großen schwach beleuchteten Kammer stapeln sich Kisten, Säcke, Tüten, Kanister und Einmachgläser bis unter die Decke, alle leer. Förster möchte bereit sein für den Tag X: der Tag, an dem es zu einem länderübergreifenden Ressourcenüberschuss kommt. Sie ist eine von schätzungsweise 5000 "Perspective Preppers", einer Untergruppe der Selbstversorgerbewegung, die sich für eine positive Zeitenwende wappnet.

"Wenn der Goldregen erst mal einsetzt, sind die Eimer sofort überall ausverkauft", scherzt die 44jährige, die "immer einen Spruch auf Lager" hat. Naiv sei sie keineswegs. Man müsse sich einfach klarmachen, dass auch erfreuliche Ereignisse Vorbereitung brauchen, sagt die "Schönwetterprepperin" – so wird sie in der Szene genannt. Für den Fall der Fälle hält sie einen Rucksack gefüllt mit leeren Tupperdosen und Thermoskannen immer in Reichweite. Der Apfelhagel im Sommer 2018 sei erst der Anfang gewesen. Schließlich sei die Landwirtschaft so effizient wie nie, die Einwohnerzahl in vielen Regionen rückläufig und die klimatische Entwicklung für einige Pflanzen günstig.

Menschen, die sich auf den Sieg über Zivilisationskrankheiten, den Zusammenbruch krimineller Strukturen oder eine Umkehrung des Klimawandels rüsten, seien keine Seltenheit mehr, sagt Kai Böcking vom Prepper-Magazin TagX24.de. Vieles sei dabei allerdings auch unter ihnen umstritten. "Die meisten freuen sich, wenn das Artensterben aufhört, doch Schrei-Adler-Nester vorm Schlafzimmerfenster oder Kegelrobben, die den heimischen Goldfischteich leer fressen, will trotzdem nicht jeder." Gerade wachse ihre Gemeinde sehr stark. "Die Deutschen sind Weltmeister im Horten: Geld, Nahrungsmittel, historische Schuld, Kinder".

Das nütze auch der Wirtschaft. Besonders sogenannte Arche-Noah-Prepper, die sich auf eine Sintflut vorbereiten, neigten zu Hamsterkäufen, meint Böcking. Immer bedeutsamer wird auch der Markt für Survival-Bedarf. Ein Gerücht in einem Krisenforum hat sogar bereits einmal zu einem realen Versorgungsengpass, der Sauerfleischkrise von 2005, geführt. Das Sortiment reicht vom Hai-Abwehrmittel für den Normalo-Notfallkoffer über Blutkonserven für "Vampir-Prepper" aus der Gothic-Community bis hin zu Riesenwasserkanistern und Generatoren für die Avocadozucht und Mikro-Brauerei-Home-Sets für Hipster-Zivilschützer. Fast alle Artikel sind frei verkäuflich, nur Bestellungen von Leichensäcken und Ätzkalk müssen erst vom SEK abgesegnet werden. Den Hauptumsatz erzielt das Onlinegeschäft, jedoch hat vor Kurzem auch der erste Prepper-Späti in Berlin eröffnet 

Hereinspaziert: eine typische Prepperwohnung lädt zum Verweilen ein

Bei der neusten bekannten Strömung handelt es sich um "Cloud-Prepper", welche ihre Dateien zum Schutz vor Cyberangriffen in mindestens zehn verschiedenen Cloudspeichern sichern. Andere Datensammler nutzen Hortungs-Programme, um möglichst viele Daten auf dem Smartphone mit sich zu führen. Eine weitere große Gruppe bilden die "Past-Prepper". Sie bereiten sich auf eine Wiederkehr vergangener Zeitabschnitte vor. Einer von ihnen ist Rüdiger E. (47). Für Ausrüstung und Seminare hat der Reservist bereits einen mittleren fünfstelligen Betrag ausgegeben.

Knapp drei Stunden ist er heute gefahren. Das Ziel: der neu eröffnete 2000 Quadratkilometer große DDR-Survival-Themenpark in der Mecklenburgischen Schweiz. Hier soll der realsozialistische Alltag simuliert werden. Zuerst stehen zweieinhalb Stunden Anstehen auf dem Programm. Nachdem E. schließlich den Park betreten hat, beginnt sein Workshop. Er lernt etwas über Tauschhandel und wie man Gemüse in der Datscha anbaut. Auch das Aufspüren von Wanzen in der eigenen Wohnung gehört seit neuestem zum Trainingsplan. Nach einem mehrstündigen Marathonlauf bekommt er abends im Konserven-Kochkurs Tipps für die Zubereitung von Würstchengulasch.

Fühlt sich E. durch das Preppen sicherer? Oder will er einfach für ein paar Stunden in eine andere Welt abtauchen, und wenn es zur Not nur die eigene Speisekammer ist? Wie sind seine politischen Ansichten? Er ist schweigsam, antwortet ausweichend. Dem Staat und der Presse gegenüber ist er misstrauisch. Wo genau sich sein mit Handgranaten und Gewehren ausgestatteter unterirdischer Hobbyraum befindet, fragt man ihn besser nicht.

Julia Mateus

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt