TITANIC Gold-Artikel

Finnland, erwache!

Die Finnen sind eine wenig leidenschaftliche Nation. Sie interessieren sich für gar nichts, außer für Saunas, Eishockey, Wodka und Atomkraft, in aufsteigender Reihenfolge.
Die finnische Liebe zur Atomkraft ist immens. Andere Nationen hatten nach Tschernobyl Panik vor verstrahlten Pilzen und gerieten erstmal ins Grübeln. Die Finnen bewilligten drei Wochen später das nächste AKW.
Das größte Atomkraftwerk Europas entsteht in Olkiluoto an der finnischen Küste. Die Gemeinde hat nichts dagegen. Kein Wunder, sie bewarb sich selbst. Als sie den Zuschlag erhielten, lagen sich die Anwohner in den Armen, so erzählt man sich, tanzten Ringelreihen, fuhren Autokorso die ganze Nacht, eine alle mitreißende Pro-Atom-Kraft-Bewegung erfasste die ganze Region.
Die Finnen waren schon immer etwas anders. Ein Land, in dem es Chips mit Lakritzgeschmack gibt, in dem Donald Duck-Hefte fast verboten waren, weil Donald darin keine Hose trägt, die das Computerspiel "Angry Birds" erfunden haben und übrigens alle genauso scheiße gelaunt gucken - darf man sich da wundern?

___STEADY_PAYWALL___

Atomkraft ist ein Irrweg der Menschheit.
Jemand muss es diesem vernebelten Waldvolk sagen. Jemand muss sie bekehren. Wer, wenn nicht ich! Die Deutsche, das Merkel-Kind. Finnland, erwache! Zeit für die Gründung einer finnischen Anti-AKW-Bewegung, eine Massenbewegung, für die ich genau sieben Urlaubstage Zeit habe.
Beim Fischgeschäft in Rauma, der nächstgelegenen Kleinstadt des Kraftwerks, starte ich meine Mission. Ich betrete den hutzligen, stinkenden, holzvertäfelten Laden. Ein halbes Dutzend Kunden steht stumm vor der Theke.
Rentier-Augen, depressive Blicke, hohe Wangenknochen, manche sogar höher als die Augen, mehr Aki Kaurismäki geht nicht.
Die Ladentür fällt hinter mir ins Schloss. Ich räuspere mich. Dann lasse ich die Bombe platzen.
"Moi! Moi!", rufe ich in die Runde.
Bleiche, hohläugige Trollschädel starren mich an. Kunden zucken zusammen. Eine altes Mütterchen im Pelzmantel umklammert ihre Einkäufe. Fremde Menschen einfach so grüßen, schon das gilt in Finnland als geisteskrank.
"Moi! Moi! ", wiederhole ich gnadenlos. Zwei Silben wie ein Peitschenhieb.

Dann starte ich mein Kreuzvehör, gehe in die Vollen.
"How do you like Ydin Voima?"
Ydin Voima = Atomkraft, das weiß ich dank Google Translate. Ich habe mir ein kleines Fachvokabular zusammengestellt.
Niemand reagiert. Nichts regt sich, nicht einmal die Pupillen.
Nur ein Mann ganz links neben der Warentheke nickt. Ein älterer Mann mit Nilpferdnase, Typ Axtmörder. Er trägt eine Art gefütterte Saunabademantel aus moosgrünem Samt.
"Hyvin", sagt er. Hyvin heißt "gut". Zur Bekräftigung seiner Sichtweise hebt er einen Daumen nach oben.
Hab ichs mir doch gedacht. Zeit für einen gnadenlosen Konter.
"Paha!", pariere ich. Paha heißt "schlecht". Mein deutscher Daumen saust wie ein Fallbeil nach unten.
"Ydin Voima - räjähtävä", beschwöre ich. Das heißt: explosiv. "Rääjäähtääväää ..."
Vielleicht hat es ihnen das einfach noch keiner gesagt. Vielleicht sind die Gefahren noch nicht bis hierhin gedrungen, hier oben kommt ja alles etwas später an, Europa, Menschenrechte, Monogamie.

Der Saunabademantelträger schüttelt den Kopf, lässt sich nicht beirren. Jetzt muss ich schwerere Geschütze auffahren.
"Tschernobyl, Fukushima, Gudrun Pausewang!", skandiere ich in die quälende Stille.
Jetzt habe ich diese sturköpfigen Dumpfbacken aber am Wickel, diese Rentierfresser, diese Randexistenzen der EU.
Finnland, verrecke!, will ich rufen, finde aber keine Wörter. Mein Finnisch-Vokabular ist bereits erschöpft, aber das macht nichts, die Faustregel lautet: Einfach an jedes Wort ein i dranhängen, oder zwei.
"Radioaktivi!", erkläre ich, die Hände beschwörend gen Himmel gereckt.
"Krawummii!", krakeele ich.
Die Reaktion ist: geht so.
Jetzt hab ich aber genug. Jetzt muss ich alles, alles geben, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, sie aus ihren inneren Saunahäuschen zu locken. Ich recke die Brust, hole die hölzerne Rassel aus meinem Reiserucksack und lege los:
"Sein wa doch ma ehrlich – Atomkraft ist gefährlich!"
Die Verkäuferin krallt ihre finno-ugrischen Fischfinger noch tiefer in den Hering.
"Gegen die Spaltung von Mensch und Atom – Für die soziale Revolution!"
Fellmütze hält sich die Ohren zu und singt ganz leise die finnische Nationalhymne.
"Hacken krallen, Schienen sägen: Dem Atomstaat Saures geben!"
Das alte finnische Mütterchen kratzt sich den Schorf von der Stirn.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob sie alles verstanden haben, und ergänze vorsichtshalber noch: "Super-Gaui, Super-Gaui – Ninistö ist 'ne dumme Saui!", wobei ich den Namen des finnischen Staatsberhaupts elegant einflechte.

Niemand regiert.
Vielleicht ist Poesie nicht ganz ihre Sprache. Ich versuche es prosaischer.
"Hey Leute, Atomkraft ist ein Irrweg. Irrwegii. Wie Sowjetunion. Wie gemischtgeschlechtliche Saunas. Wie Nokia-Handys!"
Ein einziges, ultimatives Argument habe ich noch im Ärmel: "Kommt, los Leute, unter Hitler habt ihr euch doch auch auf unsere Seite geschlagen!"
"Hitleri?" Das alte Mütterchen beugt sich interessiert vor.
Sonst: Keine Reaktion.
"Ja, seid ihr denn alle besoffen, oder was? Drunken?", rufe ich aus.
"Kyllä", vermeldet die Fischverkäuferin hinter der Theke. Und das heißt auf finnisch "ja".
So ist das also. Die sind hier alle hackedicht! Klar, schon elf Uhr, fast Mittag.
"Atomtod! Ökozid! Ihr werdet alle Sterben!" Mein letzter erschöpfter Versuch, sie wachzurütteln.
"Na und?", sagt die Verkäuferin, jetzt in astreinem Englisch. "Wir sind Finnen. Wir mögen den Tod. Das ganze Leben warten wir auf den Tod. Atomtod, ja bitte!"
"Kyllä!", rufen jetzt alle im Chor. "Apokalypsi supi!"
Was soll man da noch sagen.

Irgendwer aus der lichtlosen Tiefe des Ladens reicht mir einen Salmiaki-Schnaps. "Hölkyn Kölkyn", zu deutsch: Prost, raunt es von allen Seiten.
"Hölkyn Kölkyn", murmle ich matt zurück und exe den lackschwarzen Höllentrank. Und dann noch vier.
Das Mütterchen fragt, ob ich gleich noch mitkomme zu "Samis Drinkin-Reikä", zu deutsch: Samis Saufloch.
Ich wiegle auf englisch ab: "Nee, sonst bin ich zu betrunken. Ich muss heut Nachmittag noch Handzettel auf dem Marktplatz verteilen."
Das Mütterchen nimmt meinen Arm und sagt, man sei im Leben für nichts zu betrunken, solange man noch auf dem Boden liegen könne, ohne sich festzuhalten.
Dagegen lässt sich nicht viel einwenden. Arm in Arm und reichlich knülli stampfen wir hinaus in den schneeskalten Tag.
 

Ella Carina Werner

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

Kurz hattet Ihr uns, liebe Lobos,

als Ihr eine Folge Eures Pärchenpodcasts »Feel the News« mit »Das Geld reicht nicht!« betiteltet. Da fragten wir uns, was Ihr wohl noch haben wollt: mehr Talkshowauftritte? Eine Homestory in der InTouch? Doch dann hörten wir die ersten zwei Minuten und erfuhren, dass es ausnahmsweise nicht um Euch ging. Ganz im Sinne Eures Formats wolltet Ihr erfühlen, wie es ist, Geldsorgen zu haben, und über diese Gefühle dann diskutieren. Im Disclaimer hieß es dann noch, dass Ihr ganz bewusst über ein Thema sprechen wolltet, das Euch nicht selbst betrifft, um dem eine Bühne zu bieten.

Ihr als Besserverdienerpärchen mit Loft in Prenzlauer Berg könnt ja auch viel neutraler und besser beurteilen, ob diese Armutsängste der jammernden Low Performer wirklich angebracht sind. Leider haben wir dann nicht mehr mitbekommen, ob unser Gefühl, Geldnöte zu haben, berechtigt ist, da wir gleichzeitig Regungen der Wohlstandsverwahrlosung und Realitätsflucht wahrnahmen, die wir nur durch das Abschalten Eures Podcasts loswerden konnten.

Beweint deshalb munter weiter den eigenen Kontostand: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Vielleicht, Ministerpräsident Markus Söder,

sollten Sie noch einmal gründlich über Ihren Plan nachdenken, eine Magnetschwebebahn in Nürnberg zu bauen.

Sie und wir wissen, dass niemand dieses vermeintliche High-Tech-Wunder zwischen Messe und Krankenhaus braucht. Außer eben Ihre Spezln bei der Baufirma, die das Ding entwickelt und Ihnen schmackhaft gemacht haben, auf dass wieder einmal Millionen an Steuergeld in den privaten Taschen der CSU-Kamarilla verschwinden.

Ihr Argument für das Projekt lautet: »Was in China läuft, kann bei uns nicht verkehrt sein, was die Infrastruktur betrifft.« Aber, Söder, sind Sie sicher, dass Sie wollen, dass es in Deutschland wie in China läuft? Sie wissen schon, dass es dort mal passieren kann, dass Politiker/innen, denen Korruption vorgeworfen wird, plötzlich aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Gibt zu bedenken: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Tiefenpsychologischer Trick

Wenn man bei einem psychologischen Test ein Bild voller Tintenkleckse gezeigt bekommt, und dann die Frage »Was sehen Sie hier?« gestellt wird und man antwortet »einen Rorschachtest«, dann, und nur dann darf man Psychoanalytiker werden.

Jürgen Miedl

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt
08.04.2024 Oldenburg, Theater Laboratorium Bernd Eilert mit Klaus Modick